12. 3. 2023 „Tauben im Gras“ von Wolfgang Koeppen – rassistisch?
Am 11. März berichtete der SWR von einer Lehrerin an einem Gymnasium in Ulm, die sich aus „Rassismusgründen“ weigert, eine für das Abitur 2024 vorgesehene Pflichtlektüre im Unterricht zu behandeln. Es geht um den rund 200 Seiten starken Nachkriegs-Collageroman von Wolfgang Koeppen (1906 bis 1996) aus dem Jahr 1951 mit dem Titel „Tauben im Gras“.
Jasmin Blunt, besagte Deutschlehrerin mit unverkennbar negroiden Wurzeln, hatte das Buch durchgeblättert und sei entsetzt gewesen. An die hundert Mal habe sie das N-Wort vorgefunden – noch dazu ohne Fußnoten oder Erklärungen. Offensichtlich hatte sie kein Wort Latein in ihrer Schulzeit oder während des Studiums und so nicht erfahren, dass dieses Wort seinen Ursprung bei den Alten Römern mit niger, nigra, nigrum hat und wertfrei nur „schwarz“ bedeutet. Auch die Porta Nigra in Trier ist keine Neger-Pforte, sondern einfach nur ein schwarzes Tor!
Jedenfalls sei es für sie als Lehrerin mit zwölf Jahren Berufserfahrung „einer der schlimmsten Tage“ ihres Lebens gewesen, sagt sie, die selbst nach eigenen Angaben Rassismus erlebt habe. „Das ist ein brutaler Angriff auf meine Menschenwürde.“
Der 1951 erschienene und mehr als 40mal aufgelegte Roman „Tauben im Gras“ ist ein Beispiel deutscher Nachkriegsliteratur. Er zeichnet im Collagestil einen einzelnen Tag, exakt 18 Stunden im Nachkriegsdeutschland nach. Vermutlich geht es um den 20. Februar 1951 in München, also in der damaligen US-amerikanischen Besatzungszone. Koeppen reiht hier in 105 Abschnitten zufällige Begegnungen (symbolisiert in den Tauben), Dialoge und Monologe aneinander.
Und warum sei das Buch rassistisch? Weil in dem Roman neben zwanzig anderen Figuren auch der (schwarze) ehemalige US-Soldat Odysseus Cotton und der (ebenfalls schwarze) US-Soldat Washington sowie die von ihm schwangere Freundin Carla und deren Mutter Behrend vorkommen?
Aber anstatt die Lektüre und Besprechung des Koeppen-Romans zu nutzen, um den Schülern den damaligen Alltag und die Zerrissenheit der Nachkriegszeit nahezubringen oder das N-Wort zu problematisieren, wählte die Ulmer Lehrerin einer Art „Cancel History“, also Geschichts-Verweigerung.
Das baden-württembergische Kultusministerium bleibt bei der Vorgabe des Buches als Pflichtlektüre, denn, so begründet es das Ministerium, der Roman sei für den Unterricht geeignet und zähle außerdem zur bedeutenden deutschen Nachkriegsliteratur. Hier könne man den jungen Menschen u.a. vermitteln, was Rassismus sei.
Die Ulmer Lehrerin will sich damit nicht zufriedengeben. Sie hat eine Petition gestartet und will erreichen, dass der „Unterricht zu einem sicheren und rassismusfreien Ort für alle“ wird. Für sich selbst hat sie Konsequenzen gezogen. Sie hat für das kommende Schuljahr einen Antrag auf Beurlaubung ohne Besoldung gestellt. Und wer macht den Unterricht, besetzt sie doch weiterhin eine Planstelle an ihrer Schule?
Trotzdem dürfte das wohl das Vernünftigste sein. Den Schülern bleibt ein weiteres Stück Betroffenheitspädagogik und Indoktrination erspart. An dieser Stelle soll keinem Rassismus das Wort geredet werden. Aber wenn allein das N-Wort – nicht einmal ich habe noch den Mut, es auszuschreiben – rassistisch ist, dann müssten auch die Worte „Indianer“, „Inder“ oder erst recht das schwarze Pendant der Singalesen, nämlich „Tamile“, rassistisch sein. Dann kann man bald die Hälfe der deutschen Literatur- und Musikklassiker in die Tonne treten, von Schillers „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ („Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen.“) über Heinrich Heines „Mohrenkönig“ bis zu den Othello-Stücken von Shakespeare, Mozart, Rossini und Verdi. Von „Onkel Toms Hütte wollen wir hier gar nicht erst reden, soll der die gleichnamige U-Bahn-Station in Berlin nach Meinung der Gutmenschen umbenannt werden. Alles „Cancel Culture“ – alles jetzt pädagogisch-antirassistisch verbrämt?
Eine Bankrotterklärung der deutschen Schulpädagogik und eine Entmündigung der Lehrer!