15. 4. 2022 Die Ukraine und Steinmeier
Warum mag die Ukraine unseren Bundespräsidenten Walter Steinmeier nicht? Es lohnt sich, dessen Russlandpolitik genauer anzuschauen.
Steinmeier war unter Gerhard Schröder seit 1999 Chef und „graue Eminenz“ im Kanzleramt. Dort machte er sich vor allem einen Namen als maßgeblicher deutscher Mitspieler bei der Ostseepipeline I, die vor allem der Umgehung der Ukraine diente. 2005 wurde er in der Großen Koalition auf Wunsch Schröders und Münteferings Außenminister.
Steinmeier war ein ausgemachter Russland-Freund und hatte bei mehreren Besuchen in Moskau Putins Vertrauten Dmitrij Medwedjew kennengelernt, damals stellvertretender Regierungschef und Aufsichtsratschef von Gazprom. Kein Wunder, dass Ex-Kanzler Schröder nur zwei Monate nach der verlorenen Wahl Aufsichtsrat in dem Erdgas-Unternehmen wurde. Der russische Präsident besorgte dem bis dahin kinderlosen Kanzler sogar zwei Adoptivkinder, die Gerhard Schröder und seine damalige Ehefrau Doris Schröder-Köpf in Deutschland aufgrund der geltenden Adoptionsregeln niemals bekommen hätten – und aus Russland wohl auch nicht. Schröder war Putins wertvolle „Westerweiterung“.
In der Bundesregierung saß nun Schröders Intimus Steinmeier als Außenminister. Er begann unverzüglich eine „neue Ostpolitik“, sprich Russlandpolitik, zu entwerfen. Allerdings hatte Putin durch seinen brutalen Krieg in Tschetschenien, die Abschaffung der Gouverneurswahlen in den Regionen, die Beschränkung der Pressefreiheit, die Entmachtung der Opposition und die Übernahme aller Machtapparate durch Leute aus dem Geheimdienst und Militär schon deutlich bewiesen, dass er mit westlichen Werten nicht das Geringste am Hut hatte. Steinmeier störte das nicht allzu sehr.
Der Krieg Russlands gegen Georgien im August 2008 sorgte zwar für Irritationen, was Steinmeiers russlandfreundlichen Kurs anging. Eine Wende aber brachte er nicht. Als der damalige französische Außenminister Bernard Kouchner Überlegungen anstellte, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, wandte sich Steinmeier dagegen, lehnte überhaupt eine härtere Gangart gegenüber Moskau ab.
Steinmeiers erste Ukrainereise als Außenminister im Februar 2006 verlief indes eher unglücklich. Bei der Regierung in Kiew hatte Steinmeier den Eindruck erweckt, als sei die Ukraine ein unterentwickeltes Land, das Beratung brauche und eigentlich nicht recht ernst zu nehmen sei – eine Einschätzung, die mit jener in Moskau durchaus kompatibel war.
einmeier war mit seiner unkritischen Haltung gegenüber Putin nicht allein. Viele SPD-Politiker waren der Meinung, dass Putin der richtige Mann für Russland sei, für Stabilität sorge und dass Deutschland engste Verbindungen mit ihm haben solle. Hamburgs Erster Bürgermeister Henning Voscherau gehörte zu den Putin-Fans, die dessen zwischenmenschlichem Charme erlagen. Er wollte dem russischen Präsidenten 2001 sogar die Ehrendoktorwürde der Universität der Hansestadt verleihen, als schon Tausende Zivilisten in Tschetschenien der brutalen Kriegsführung Moskaus zum Opfer gefallen waren. Als sich einige Professoren dagegen öffentlich wehrten, empfahl er ihnen, sie sollten „lieber das Maul halten“. Zusammen mit seinem Bruder Eggert war Henning Voscherau gern Gast in Putins Sommerresidenz in Sotschi. Eggert Voscherau wiederum war als Vizechef des Chemiekonzerns BASF mit dem Bau der Ostseepipeline beschäftigt. Darüber hatte er Steinmeier kennengelernt, die beiden Männer waren seitdem befreundet.
Wichtig war auch bis zuletzt Matthias Platzeck, der mit Steinmeier privat befreundet ist. Als Brandenburgs Ministerpräsident und temporärer SPD-Vorsitzender schwärmte er von seinen Wirtschaftsreisen nach Moskau. Als Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums hatte er nach dem Ende seiner Zeit als Ministerpräsident großen Anteil daran, Putins Regime zu verharmlosen. Als Merkel nach der Krim-Annexion eine harte Rede gegen Putin hielt, klagte Platzeck, es sei „schlimmer als im Kalten Krieg“. Die Annexion der Krim müsse „nachträglich völkerrechtlich geregelt werden“.
Obwohl Russland mit der Annexion der Krim einen offenen Völkerrechtsbruch begangen hatte und einen kaum verdeckten Krieg in der Ostukraine begann, blieb Steinmeier sich treu in seinem Mantra, dass man den Gesprächsfaden mit Putin nicht abreißen lassen dürfe. Zwar setzte er sich für Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine ein, die nun im Normandie-Format zusammen mit Frankreich stattfanden. Doch einen Bruch mit dem Aggressor wollte er nicht. Anfang September 2015 wurde sogar der Bau zweier weiterer Stränge der Ostseepipeline, bekannt als Nord Stream 2, im russischen Wladiwostok beschlossen. Dass die von Russland unterstützten Separatisten im Sommer zuvor eine Passagiermaschine über der Ukraine abgeschossen hatten, die dreihundert Menschen das Leben kostete, und dass Putin mittlerweile einen brutalen Krieg in Syrien führte, wurde ausgeblendet.
Steinmeier habe seit Jahrzehnten „ein Spinnennetz von Kontakten mit Russland geknüpft“, sagt der ukrainische Botschafter Melnyk. Die Spinne in diesem Netz könnte eher Gerhard Schröder gewesen sein. Steinmeier aber hat Schröders verfehlte Russlandpolitik über acht Jahre an führender Stelle in der Bundesregierung fortgesetzt. Aktuelle Bilder in Kiew, die das vergessen machen sollten, will ihm die ukrainische Führung ganz offenbar nicht liefern.
Bringen wir es auf den Punkt: Steinmeier ist Deutschlands Bundespräsident, und die Ukraine sollte vorsichtig mit Anwürfen gegen ihn sein, zumal er in den vergangenen Tagen vieles korrigiert hat. Aber dass sie ihn nicht gern als Besucher sieht, ist wegen seiner jahrelangen russlandfreundlichen und unkritischen Politik nicht verwunderlich.