14. 4. 2022 Wie Gazprom Deutschland beherrscht
Die „Neue Züricher Zeitung“ (NZZ) hat es öffentlich gemacht, wie Gazprom Germania sich über die Jahre in Europa zu einer weitverzweigten Holdinggesellschaft entwickelt hat. Über sie übt der russische Staatskonzern seinen Einfluss auf europäische Erdgasleitungen und Speicher aus und wickelt einen Großteil seiner Handelstätigkeit ab. Vom Bohrloch bis zum Endkunden – das war für den russischen Staatskonzern nicht nur die Devise in Russland, sondern auch auf den Exportmärkten.
In Deutschland konnte diese Vorhaben vor allem mit Wintershall, der Erdöl- und Gasgesellschaft des Chemiekonzerns BASF, umgesetzt werden, und zwar durch einen Tausch von Vermögenswerten im Jahr 2015: Während Wintershall Anteile an weiteren Erdgasfeldern in Westsibirien erhielt, ging ihr Erdgashandel- und -speichergeschäft vollständig an Gazprom. 2019 schloss sich Wintershall dann mit der Explorationsgesellschaft DEA Deutsche Erdoel zusammen, doch ist BASF weiterhin Mehrheitsaktionär.
Über seine Tochter Wingas beliefert Gazprom Germania vor allem Stadtwerke, größere Industriebetriebe, Kraftwerke und regionale Gasversorgungsunternehmen und hält rund einen Fünftel am Erdgasmarkt in Deutschland. Gazprom investierte auch in das Sponsoring des deutschen Fussballklubs Schalke 04, um sein Image aufzubessern und Kontakte zu pflegen.
Eine weitere Verbindung zwischen Deutschland und Russland sind die ebenfalls von Gazprom kontrollierten Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2, die eine direkte Verbindung der beiden Länder durch die Ostsee darstellen. Ein Grund für den Bau der Röhren war auch, dass damit die Transitroute über die Ukraine (!) umgangen werden kann. Während Nord Stream 1 bereits seit 2011 in Betrieb ist, wurde Nord Stream 2 zwar fertig gebaut, wegen fehlender Bewilligungen und amerikanischer Sanktionen aber noch nicht in Betrieb genommen. Die von Gazprom kontrollierte Betreibergesellschaft löste sich nach dem Muster von Gazprom Germania ebenfalls nebulös auf.
Weniger sichtbar erhielt Gazprom durch den Deal mit Wintershall auch die Kontrolle über die wichtigen Erdgasspeicher Rehden und Jemgum in Deutschland. Die Füllstände an diesen Standorten sind bereits im vergangenen Jahr Gegenstand heißer Diskussionen gewesen, weisen doch gerade sie nur geringe Bestände auf, was die Furcht vor einer Gasknappheit im Winter und die Erdgaspreise ansteigen ließ. Jetzt wird klar, dass Gazprom bereits vor Monaten mit taktischen Spielchen begann, um europäische Länder und besonders Deutschland unter Druck zu setzen.
Gazprom Germania spannt aber weiterhin mit Wintershall zusammen: Gemeinsam halten die Unternehmen die Betreibergesellschaften der wichtigen Erdgasröhren NEL und Opal sowie die Gastransportfirma Gascade, die ein Pipelinenetz von gut 3200 Kilometern Länge betreibt und als kritische Infrastruktur für den Energietransport innerhalb Deutschlands und Europas bedeutsam ist.
Ein weiterer wichtiger Baustein von Gazprom Germania ist die Handelsgesellschaft Gazprom Marketing & Trading mit Sitz in Grossbritannien und einer Schweizer Tochter. Auf der Insel hatte es bereits vor einiger Zeit Planspiele gegeben, Gazprom-Unternehmen unter Staatsaufsicht zu stellen, um die Gasversorgung nicht zu gefährden. Viele Kunden und auch Banken hatten sich wegen des Ukraine-Kriegs vom Versorgungsunternehmen zurückgezogen, das für rund ein Fünftel der Versorgung von Geschäftskunden mit Gas in Großbritannien verantwortlich ist.
Auch in Deutschland kappten Finanzinstitute und Geschäftspartner die Verbindung mit Gazprom. Laut Netzagentur-Präsident Müller ist mit der staatlichen Aufsicht aber die Gefahr einer technischen Insolvenz gebannt. Im gesamten Unternehmensgeflecht waren 2020 mehr als 1500 Mitarbeiter beschäftigt. In diesen Strudel wird auch die Handelsgesellschaft Gazprom Schweiz hineingerissen, die vor allem mit Erdgas aus Zentralasien handelt.
In Deutschland ist Gazprom von seinen Geschäftspartnern immer wieder als „zuverlässiger Lieferant“ bezeichnet worden. Gazprom Germania geht zudem bereits auf eine Zusammenarbeit zwischen einem Vorläufer des russischen Staatskonzerns und Wintershall in den 1990er Jahren zurück. Schon zuvor war sowjetisches Erdgas ununterbrochen nach Deutschland geflossen. Gazprom konnte sich in Europa und in Deutschland mit Hilfe kooperationswilliger Unternehmen und innerhalb der kartellrechtlichen Bestimmungen ausbreiten. Jetzt steht dieser einstige Pfeiler der Energieversorgung vor einem Scherbenhaufen.
Für BASF wiederum ist Wintershall Dea zu einem Klotz am Bein geworden. Eigentlich wollte man diese Tochter durch einen Börsengang loswerden. Doch der Minderheitsaktionär, die Investitionsgesellschaft LetterOne, hat sich bisher dagegen gestellt. Deren Mitgründer, die russischen Milliardäre Michail Fridman und Pjotr Aven, traten Anfang März von ihren Führungsämtern bei LetterOne zurück, nachdem die EU sie auf die Sanktionsliste gesetzt hatte. Laut Firmenangaben sind ihre Beteiligungen an LetterOne eingefroren, und sie erhalten keine Dividende.
Wie die NZZ weiter mitgeteilt hat, reicht auch beim Erdöl der russische Einfluss über Rosneft weit: Rund 35 Prozent des deutschen Ölverbrauchs wurden laut Angaben des Wirtschaftsministeriums im vergangenen Jahr durch Importe aus Russland gedeckt; inzwischen sinkt dieser Anteil. Hiervon entfiel wiederum rund ein Drittel auf die PCK Raffinerie in Schwedt. Die Raffinerie gehört zu rund 54 Prozent der Rosneft Deutschland, dem deutschen Arm des börsennotierten, aber mehrheitlich vom Staat kontrollierten russischen Mineralölkonzerns Rosneft, an dessen Verwaltungsratsspitze Gerhard Schröder sitzt.
Im letzten Jahr kündige Rosneft an, das Vorkaufsrecht auf einen Minderheitsanteil des britisch-niederländischen Shell-Konzerns auszuüben und damit die Beteiligung an der PCK Schwedt auf fast 92 Prozent auszubauen. Allerdings ist das Genehmigungsverfahren noch nicht abgeschlossen, und es ist kaum mehr zu erwarten, dass das Bundeswirtschaftsministerium grünes Licht geben wird.
Rosneft Deutschland ist nicht nur an der Raffinerie in Schwedt beteiligt, sondern hält auch Minderheitsanteile von 24 Prozent an der Miro-Raffinerie in Karlsruhe und von knapp 29 Prozent an der Bayernoil-Raffineriegesellschaft in Vohburg. Damit ist Rosneft das drittgrößte Unternehmen in der Mineralölverarbeitung in Deutschland. Die Firma war im Durchschnitt der letzten Jahre für rund einen Viertel der Rohölimporte nach Deutschland verantwortlich. Die Raffinerien produzieren ein breites Spektrum an Erdölprodukten – von Benzin, Diesel und Heizöl über Kerosin bis zu petrochemischen Erzeugnissen und Bitumen.
Rosneft Deutschland ist als Großhändler auch im Vertrieb tätig. Geopolitische Bedeutung hat vor allem die Raffinerie in Schwedt, die rund 1200 Mitarbeiter beschäftigt: Während die beiden anderen genannten Raffinerien über die Transalpine Pipeline – an der Rosneft ebenfalls eine Minderheitsbeteiligung hält – aus dem italienischen Hafen Triest versorgt werden, bezieht die Schwedter PCK Raffinerie das Rohöl über die Druschba-Pipeline aus Russland. In Reaktion auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine hat unsere Regierung erklärt, bis Ende des Jahres nahezu unabhängig von russischem Öl werden zu wollen.
Doch wie kann man eine von einem russischen Unternehmen kontrollierte Raffinerie dazu bringen, auf russisches Öl zu verzichten? Mit der Floskel „Wir arbeiten daran“ hält sich Habeck bis jetzt bedeckt. Die Raffinerie ist vor allem für die Versorgung von Brandenburg und Berlin mit Benzin, Heizöl und Kerosin von zentraler Bedeutung. Auch Rosneft Deutschland scheint laut Medienberichten im Übrigen damit zu kämpfen, dass sich westliche Banken und Geschäftspartner zurückziehen.
Die Abhängigkeit von Rosneft ist relativ neu. Das Staatsunternehmen ist erst 2011 über ein Joint Venture mit der britischen BP in den deutschen Markt eingestiegen. 2016 kündigten die beiden Konzerne an, das Gemeinschaftsunternehmen namens Ruhr Oel GmbH aufzulösen, künftig selbständig aufzutreten und die Beteiligung aufzuteilen. Erst hierdurch stieg der Anteil von Rosneft Deutschland an der Raffinerie PCK Schwedt auf über 50 Prozent. Obwohl Russland damals die Krim bereits annektiert hatte, stieß diese Ausbreitung des russischen Einflusses im deutschen Energiesektor offenbar kaum auf Bedenken.
Im Rückblick sieht man das anders: „Es erweist sich jetzt, dass es ein Fehler war, einem russischen Staatskonzern solch eine Verantwortung für diese Region, aber auch für die Versorgung mit Energie zu geben“, sagte Habeck im März mit Bezug auf Schwedt.
Bringen wir es auf den Punkt: Heute, nach dem Beginn des Ukraine-Krieges, weiß m an natürlich besser, welche Fehler man seinerzeit gemacht hat. Aber eine gehörige Portion Blauäugigkeit war schon dabei.
Das Gazprom-Firmengeflecht (nach eigenen Angaben):