18. 3. 2022 Die Pariser Commune
Die gleichnamige Straße im Ost-Berliner Bezirk Friedrichshain ist nach den Vorkommnissen 1871 in Paris benannt. Und selbstverständlich waren alle Sympathien des deutschen Arbeiter- und Bauernstaates DDR auf Seiten der Revolutionäre.
Alles begann mit einer Konterrevolution. Am Morgen des 18. März 1871, also heute vor 151 Jahren, versuchten französische Truppen auf Befehl des „Chefs der Exekutive“ Adolphe Thiers die Pariser Arbeiterviertel zu besetzen, die Nationalgarde zu entwaffnen und deren 400 Kanonen zu beschlagnahmen.
Zunächst läuft alles nach Plan. Doch am Montmartre kommt es zu Unruhen, schließlich zu Verbrüderungsszenen zwischen den Regierungstruppen und den Anwohnern. Als dann ein General erscheint, um für Disziplin zu sorgen, wird er vom Pferd gezerrt und später erschossen. Der Versuch der Regierung, die Macht in Paris an sich zu reißen ist gescheitert. Kurz vor 15 Uhr flieht Adolphe Thiers aus dem Regierungsgebäude am Quai d’Orsay. So wird der 18. März 1871 zur Geburtsstunde der Pariser Commune.
Begonnen hatte alles am 2. September 1870 mit der Kapitulation Napoleon III. bei Sedan. Doch es war nur die Kapitulation des Kaiserreiches. Zwei Tage später rief man in Paris die Republik aus. Die Stadt verwandelte sich in eine Festung. Die Schulden aller Bürger wurden gestrichen, die Mieten ausgesetzt. Zwei Wochen später war die Stadt von deutschen Truppen eingeschlossen. Dann passierte – nichts. Kein Großangriff, keine Schlacht, lediglich eine Belagerung. Was nun?
Es bildeten sich zwei Fraktionen. Die eine saß in der Pariser Kommunalverwaltung. Dort wurde man plötzlich gewahr, dass die Vertreter der alten Ordnung, die Regierung, aber auch das besitzende Bürgertum, die Stadt verlassen hatten. Es bildete sich Soldatenräte. Die arbeitslosen Arbeiter meldeten sich bei der Nationalgarde, wo es immerhin Sold gab. Schließlich bildete man ein Zentralkomitee.
Auf der anderen Seite stand die nach Bordeaux geflohene Nationalversammlung, an der Spitze jener Adolph Thiers, ein Mann der Ordnung und der Institutionen. Der sah mit Sorge, was sich in Paris zusammenbraute. Schnell wollte er sich mit Bismarck einigen und schuf Fakten: Am 26. Februar wurde ein Vorfriede beschlossen. Zugleich wurden die Mieten in Paris wieder eingeführt, ebenso die Schulden für gültig erklärt. Der Sold der Nationalgarde wurde gestrichen.
In Paris kochte die Stimmung. Als Thiers am 15. März 1871 in Paris eintraf, empfing man ihn feindselig. Nach dem missglückten Versuch, die Nationalgarde zu entwaffnen, musste er drei Tage später die Stadt wieder Hals über Kopf verlassen. Am 28. März wurde feierlich ein gewählter Gemeinderat eingesetzt. Ab diesem Moment hatte Frankreich faktisch zwei Regierungen.
Die Stimmung in Paris war euphorisch, die Lage fatal. Umso mehr erstaunt die Umsicht, mit der die Kommune agierte. Hier handelten keine versponnenen Weltverbesserer. Man würde ihr Programm heute eher sozialdemokratisch nennen: Man erarbeitete eine demokratische Verfassung, ermunterte die Arbeiter, Gewerkschaften zu bilden, und schaffte die Kirchensteuer und den Religionsunterricht ab. Und man setze erste Zeichen der Frauenemanzipation. Aus Sicht des Bürgertums eine Provokation.
Am 21. Mai griffen die Regierungstruppen mit überwältigender Übermacht an. Dennoch dauerte es eine Woche, bis der letzte Widerstand gebrochen war. Dann begann das große Morden. In der Stadt wurden Sammelstellen gebildet, um Gefangene umgehend zu erschießen – in Parks, auf Plätzen, sogar in Theatern. Vor dem Jardin du Luxembourg bildeten sich Schlangen Hinzurichtender. Lange Zeit sprach man von 20.000 Exekutierten, heutzutage geht man von 10.000 aus. Immer noch eine enorme Zahl.
Die kommunistische Bewegung Europas hatte ihre ersten Märtyrer. „Das Massaker an der Pariser Commune bedeutete für die Weltrevolution dasselbe wie Golgatha für das Christentum“, schrieb Sebastian Haffner. Nicht nur Lenin und Trotzki haben sich immer wieder auf die Kommune berufen, deren Untergang so zur Rechtfertigung revolutionärer Gewalt wurde. Und so kündigt sich in den Exekutionen von Paris die verhängnisvolle Brutalität und Gewaltentfesselung der Moderne in der Sowjetunion und nach 1945 in ihren „Bruderstaaten“ an. Erstmals zeigt sich hier ein rücksichtsloser Vernichtungswille!
Das grausame 20. Jahrhundert (vgl. Kolumne vom 23. 1. 2022), es begann im Frühjahr 1871 in Paris. Und es scheint auch im 21. nicht aufzuhören, wenn man nur an den Ukraine-Krieg denkt