17. 3. 2022 Was lehrt uns Russlands Krieg?
Nach der russischen Invasion in die Ukraine sagte Annalena Baerbock, wir seien „in einer anderen Welt aufgewacht“. Sehen Polen und die baltischen Länder das genauso? Vermutlich wird er dort auf totales Unverständnis stoßen, denn viele Menschen in Osteuropa werden sich gefragt haben, in welcher Welt die Deutschen, insbesondere ihre politischen Verantwortungsträger, denn zuvor eingeschlafen waren. Hat man in der Bundesrepublik vergessen, dass russische Truppen in Georgien eingefallen waren? Oder die Krim gewaltsam annektiert hatten? Oder mit ihrer Luftwaffe dem Assad-Regime zur Seite gesprungen sind und syrische Städte bombardiert haben? Von Tschetschenien und seiner Hauptstadt Grosny, die nahezu vollständig von russischen Truppen plattgemacht wurde, wollen wir gar nicht erst sprechen. Und darf man die Niederschlagung der Aufstände 1953 in der DDR, später in Ungarn und in der Tschechoslowakei vergessen, nur weil es in den Zeiten vor Putin war? Die russische Geschichte ist geprägt von Einmärschen, Panzern und Niederschlagung von Aufständen, und das auch schon in den vergangenen Jahrhunderten.
Zurück zur heutigen Sicherheitssituation. Die Russen erweisen sich als unkalkulierbar, die Chinesen denken vor allem in asiatischen Dimensionen und überlegen sich, wie sie Taiwan und andere Inseln okkupieren können.
Und die USA? Recht hatte Trump, als er die geringen Verteidigungsausgaben der Deutschen beklagte; aber dass er dabei fast den Austritt aus der NATO vollzogen hätte, lässt darauf schließen, dass die USA – wenn überhaupt – andere weltpolitische Ziele haben, als sich um Europa zu kümmern. Sie sind vor allem mit sich selbst beschäftigt und haben China als ihren größten Gegner ausgemacht. Da denkt auch Joe Biden, der jetzige Alterspräsident, nicht wesentlich anders.
Europa muss sich aus sich selbst heraus stark machen, damit es nicht als ein kleines europäisches Anhängsel an Asien und Russland gesehen wird und den Launen eines Wladimir Putin wie die Ukraine ausgesetzt ist. Ja, wir sind mit unserer EU eine wirtschaftliche Weltmacht – aber der Rest? Militärisch haben wir trotz der Atom-Staaten UK und Frankreich nur ein paar Operetten-Armeen, politisch sind wir – immer auf Kompromisse bedacht und oft unterschiedlicher Auffassung – nahezu bedeutungslos.
Es wird Zeit, dass wir über unseren Kontinent neu nachdenken. Wir sind zwar kein Bundesstaat, aber ein Staatenbund, und viele europäische Staaten stehen noch draußen vor der Tür. Viele sind nicht in der EU und viele EU-Länder haben nicht einmal den Euro (was nicht unbedingt ein Unglück sin muss), aber alle eint die Angst vor dem übermächtigen, atomwaffen-starrenden Russland, das nicht erst unter seiner heute herrschenden Clique seine politischen Ziele mit militärischer Brachialgewalt durchsetzt, wie die eingangs erwähnten Beispiele zeigen.
Ist es unter diesen Umständen nicht an der Zeit, dass wir in Europa aufwachen und mindestens eine gemeinsame Armee unter einer einheitlichen Führung bilden? Denn viele Kleine sind zusammen auch eine starke Macht, vor allem wenn sie die entsprechenden militärischen Mittel zur Verfügung haben. Und sollte nicht die Wehrpflicht – möglichst in ganz Europa - wieder eingeführt werden? Letzteres wird gern in Zweifel gezogen, aber außerhalb der ca. 200.000 Soldaten in unserer Bundeswehr weiß von den jungen Leuten, die notfalls im Kriegsfall die Bundesrepublik und ihre Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und die sozialen Errungenschaften verteidigen müssten, kaum jemand, wie ein Gewehr aussieht, geschweige denn wie es zu bedienen ist.
Zur Zeit kann man nur hoffen, dass die NATO, egal ob mit oder ohne die USA, die Verteidigung Europas vorbereitet und eine gemeinsame Strategie hat. Aber man darf auch daran zweifeln, wenn man weiß, dass unsere Politik auf Putins Russland und seine Atom-Drohung wie das Kaninchen auf die Schlange starrt. Wenn man stark ist, guckt man anders!
Oder denken unsere Politiker bezüglich der Ukraine den alten egoistischen Satz „Lieber Heiliger St. Florina, verschon mein Haus, …“?