17. 1. 2022 Deutsche Außenpolitik
Annalena Baerbock ist wieder unterwegs. Diesmal in die Ukraine und nach Moskau. Ob sie dort etwas erreichen kann, steht in den Sternen und ist eher nicht zu erwarten. Aber sie fliegt mit einem Tross von Begleitern, auch wohlgesinnten Journalisten, in einer Regierungsmaschine – ohne Rücksicht auf die Umweltbelastung. Wie war das mit „Wasser predigen, aber …“? Prüfen wir einmal, welche Aufgabe heute die deutsche Außenpolitik hat, also die Außenpolitik einer mittelstarken Wirtschaftsnation, die in die Europäische Union eingebunden ist und damit nur begrenzt eigenen Spielraum hat. Ihre Hauptaufgabe ist es, den Frieden zu sichern sowie Deutschlands politische und wirtschaftliche Interessen zu wahren. Das geht allen anderen Zielen vor. Für die Durchsetzung westlicher Vorstellungen von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit bleibt deutlich weniger Spielraum als in der goldenen Ära nach dem Fall der Berliner Mauer, als die Sowjetunion wirtschaftlich und politisch am Boden lag und China erst anfing, sich zu einer Wirtschafts- und Militärmacht zu entwickeln. Heute ist Außenpolitik vielfältiger. Russland und China sind ebenso zu Weltplayern geworden, wie sich die USA zurückgezogen haben. Russland spielt mit dem Feuer, indem es Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammenzieht. Es fordert Sicherheitsgarantien und verlangt, dass die Nato die russische Hegemonie über ein Gebiet von der polnischen Grenze bis zum Kaspischen Meer anerkennt. Sein Druckmittel ist die unverhohlene Drohung mit einem Krieg gegen Kiew. China mit seiner wirtschaftlichen und militärischen Stärke provoziert nicht mehr nur im Südchinesischen Meer, sondern auch in der Taiwan-Frage. Und Washington revanchiert sich, indem es China einzukreisen versucht – unter anderem durch eine neue pazifische Allianz mit Australien und Großbritannien. Annalena Baerbock verkündete gegenüber der TAZ, noch bevor sie ihren Amtseid abgelegt hatte, sie verstehe Außenpolitik als Weltinnenpolitik. Das ist neu, klingt gut, aber ob es auch durchdacht ist? In der Innenpolitik geht es ums Rechthaben, um die Gesellschaft nach den eigenen politischen Vorstellungen gestalten zu können. In der Außenpolitik geht es zuvörderst darum, einen Krieg zu vermeiden. Auch das scheint anders zu werden, wenn man Annalena Baerbock zuhört. Für sie ist „eine wertegeleitete Außenpolitik immer ein Zusammenspiel von Dialog und Härte“. Um z. B. die Menschenrechtsverletzungen Pekings anzuprangern, plädiert sie für die Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas. Dazu gehöre ein Boykott von Waren aus der Provinz Xinjiang, „wo Zwangsarbeit gängige Praxis ist“. Auch einen Boykott der Olympischen Winterspiele in China schließt Baerbock nicht aus. Von Angela Merkels vorsichtiger Chinapolitik grenzt sich die neue Außenministerin ab: „Beredtes Schweigen ist auf Dauer keine Form von Diplomatie, auch wenn das in den letzten Jahren so gesehen wurde.“ Wenn ihre Äußerungen mehr als unbedachte Worte einer außenpolitischen Anfängerin sind, wird Baerbock Deutschland auf einen gefährlichen Weg führen. Denn die Welt, durch die Baerbock Deutschland navigieren soll, ist nicht mehr die liberale Weltordnung, in welcher der Westen dominierte und seine Werte meist problemlos durchsetzen, mindestens aber artikulieren konnte. Bis Baerbock die nötige Reife als Außenministerin hat, können wir Kanzler Scholz dankbar sein, dass er wesentliche Teile unserer Außenpolitik an sich, sprich an das Kanzleramt, gezogen hat. Denn Baerbocks Welt sieht anders aus. Die Grünen und ihre Außenministerin gehören zu den letzten Mohikanern, die sich an einer Idee der liberalen Weltordnung mit Menschenrechten, Demokratie und Marktwirtschaft festklammern. Sie müssen noch viel lernen! Die erste Bewährungsprobe für sie und die deutsche Außenpolitik ist die von Putin angezettelte Ukraine-Krise. Wie kann man Kiew unterstützen? Während Washington der Ukraine modernste Waffen liefert, schließen Deutschland und Annalena Baerbock dies kategorisch aus. Die Ampelkoalition einigte sich sogar darauf, die Rüstungsexporte weiter einzuschränken. Nachgiebigkeit gegenüber Russland hat sich jedoch noch nie ausgezahlt. Weil Putin kalkulierte, dass der EU der Kaukasus keinen Konflikt wert ist, führte er 2008 Krieg gegen Georgien. Waffenlieferungen an die Ukraine wären ein Signal, dass es die EU diesmal ernst meint. Mehr als abzuschrecken und den Preis für Moskau hochzutreiben, können Deutschland und die Europäische Union nicht tun. Sollte Russland angreifen, wird die Nato die Ukraine nicht verteidigen, schließlich gehört diese dem Bündnis nicht an. Moskau muss aber für diesen noch immer unwahrscheinlichen Fall fürchten, dass der Westen es nicht bei den üblichen und ziemlich zahnlosen Wirtschaftssanktionen belässt. Berlin sollte seinen Teil dazu beitragen, die westliche Entschlossenheit zu demonstrieren. Waffenlieferungen wären ein Baustein, um die ukrainische Selbstverteidigung zu stärken. Das zu akzeptieren, würde die Grünen Überwindung kosten. Statt Plädoyers für Menschenrechte Realpolitik mit Waffen – sind die pazifistischen Grünen dazu bereit? In den Kosovo-Krieg zogen sie nur, weil Joschka Fischer eine überlebensgroße idealistische Kulisse aufbaute, gespickt mit NS-Geschichte und Schuldgefühlen: Ein Völkermord an den Albanern musste verhindert werden, um einen anderen, einen deutschen Völkermord zu exorzieren. Der Gaspipeline Nord Stream 2 die Betriebsgenehmigung zu verweigern, wäre ein anderer Baustein einer Ukraine-Strategie. Das kommt für die SPD nicht infrage. Wie gesagt, die zwanziger Jahre halten für Deutschland unangenehme Entscheidungen bereit. In der Auseinandersetzung um die Ukraine geht es nicht um abstrakte Werte, sondern um handfeste Interessen. Wenn sich Putin durchsetzt, sind die beiden wichtigsten westlichen Institutionen – die Nato und die EU – geschwächt; die baltischen Staaten müssen um ihre Integrität fürchten; und osteuropäische Staaten mit schwankender Loyalität wie Ungarn würden noch näher an Russland heranrücken. Das wäre eine tiefe Zäsur und der sichtbarste Beweis dafür, dass die Mischung aus amerikanischer Hegemonie, westlichen Ordnungsvorstellungen und europäischem Idealismus sogar in Europa selbst an ihr Ende gelangt ist. Wenn Außenpolitik tatsächlich Weltinnenpolitik wäre, gäbe es dagegen nur ein Mittel: maximalen Druck, um sich gegenüber Russland durchzusetzen, so wie man sich eben in der innenpolitischen Arena durchzusetzen versucht. Die "Methode Baerbock" birgt aber unabsehbare Risiken, weshalb sie keine Option ist. In der Außenpolitik haben letztlich Frieden, Stabilität und eine von allen akzeptierte Ordnung Vorrang vor anderen Faktoren. Deshalb lautet die Aufgabe, Russland abzuschrecken und zugleich eine unkontrollierbare Eskalation zu vermeiden. Das aber gelingt allenfalls mit nüchternem Realismus, nicht mit flammender Rhetorik für eine Weltinnenpolitik und Gratismut in Interviews. Jetzt muss Baerbock zeigen, was in ihr steckt. Der Kanzler hat schon klargemacht, dass er von Olympiaboykott und Sanktionen gegen Nord Stream 2 wenig hält. Die Scholz-Linie sieht der Merkel-Linie zum Verwechseln ähnlich. Die Außenministerin hat also wenig Gestaltungsspielraum. Sie wollte schon einmal ganz hoch hinaus und landete dann auf dem letzten Rang der drei Kanzlerkandidaten, noch hinter Armin Laschet. Wenn sie auch in der neuen Position vor allem ankündigt und wenig liefert, nimmt ihre Reputation endgültig Schaden. Sie muss sich gegen Scholz profilieren. In einer Zeit, in der Deutschland mehr denn je gebraucht wird, um Europas Interessen zu vertreten, dürften sich die Koalitionspartner blockieren. Die SPD ist russlandfreundlich, und sie will die Absatzchancen der Wirtschaft in China nicht schmälern. Die Grünen verachten seit ihren Anfängen die Leisetreterei der Sozialdemokraten und den billigen Selbstbetrug, wie er in der Formel «Wandel durch Handel» zum Ausdruck kommt. Statt Führungsstärke in Europa ist eher Stagnation zu erwarten. Nichts Neues also in Berlin, denn auch in der Vergangenheit vermieden es Kanzleramt und Auswärtiges Amt, Akzente zu setzen. Das wiederum ist das eigentlich Deprimierende an der deutschen Außenpolitik. |