9. 11. 2021 Unser designierter Neu-Kanzler Scholz und der Cum-Ex-Skandal

Der CICERO titelt neulich „Olaf Scholz und der Cum-Ex-Skandal - Des künftigen Kanzlers schmutzige Wäsche“  und berichtet über den Investigations-Journalisten Oliver Schröm, der sein Buch mit dem Titel „Die Cum-Ex-Files“ mit dem Untertitel „Der Raubzug der Banker, Anwälte und Superreichen und wie ich ihnen auf die  Spur kam“ an der Berliner Volksbühne vorgestellt hatte. Auf dieses Buch wird auch hier in Teilen Bezug genommen, und bisher hat sich Scholz nicht gerichtlich dagegen gewehrt.

An dieser Stelle ist schon mehrfach über den Skandal berichtet worden, aber das scherte im Wahlkampf niemanden. Das Lachen des CDU-Kandidaten bei der Flut oder die Plagiate der Grünen-Kandidatin fanden viel mehr Aufmerksamkeit in der Presse und damit in der Öffentlichkeit als der Milliardenbetrug der Finanzwelt, in den der dritte Kanzler-Kandidat verwickelt war. Fairerweise muss hier gesagt werden, dass sich Olaf Scholz nicht persönlich bereichert hat, auch wenn seinerzeit Wahlkampfspenden aus dem Umfeld des Begünstigten an die SPD gegangen sind.

Aber er ist Teil eines der größten Finanzskandale der Bundesrepublik. Das Oberlandesgericht Frankfurt bezeichnete die Cum-Ex-Geschäfte, bei denen sich die Akteure durch Tricks Kapitalertragssteuern mehrfach auszahlen ließen, als „gewerbsmäßige[n] Bandenbetrug“.

Vor allem ein Mann könnte alles noch einmal aufrollen und damit Scholz gefährlich werden: Christian Olearius, Gesellschafter und Geschäftsführer der Hamburger Privatbank M.M. Warburg. Ab 2007 ergaunerte die Warburg-Bank mit Cum-Ex-Geschäften eine Geldsumme im dreistelligen Millionenbereich. Scholz steht unter dem Verdacht, der Bank die Rückforderung der Beute bewusst erlassen zu haben, glaubt man dem Journalisten Oliver Schröm, der Olearius‘ Tagebücher gelesen hat,

Cum-Ex ist keine klassische Form der Steuerhinterziehung. Grob zusammengefasst haben sich Banken und Akteure nur einmal abgeführte Kapitalertragssteuern mehrmals erstatten lassen. Dazu wurden große Pakete von Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch rund um den Stichtag für die Ausschüttung in schneller Folge hin- und hergeschoben. Durch die gezielt undurchsichtigen Transaktionen verloren die Finanzbehörden den Überblick. Der LINKEN-Politiker Fabio De Masi zieht für diesen Vorgang gern einen anschaulichen Vergleich: „Ich kopiere mir zu Hause einen Pfandbon, gehe direkt an die Supermarktkasse und löse den Bon ein, obwohl ich keine Flaschen abgeben habe.“

Der weltweite Schaden durch Cum-Ex, Cum-Cum (eine weniger komplexe Form des Steuerraubs) und vergleichbare Betrugssysteme soll bei 150 Milliarden Euro liegen, allein in Deutschland wurden den Finanzämtern und damit den Steuerzahlern etwa 31,8 Milliarden Euro gestohlen.

In Deutschland machte die Warburg-Bank ab 2007 durch Cum-Ex-Geschäfte Gewinne im dreistelligen Millionenbereich. Nachdem Cum-Ex für kriminell erklärt wurde, ließen Hamburgs Steuerbehörden im Jahr 2016 Rückforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro gegen die Privatbank einfach verjähren.

2017 sollten der Bank abermals Rückforderungen, diesmal in Höhe von 43 Millionen Euro, erlassen werden – damals griff aber das Bundesfinanzministerium ein und forderte das Hamburger Finanzamt auf, die Rückforderung nicht noch einmal verjähren zu lassen. Ob das der Grund war, dass der verantwortliche Beamte im Finanzministerium, nachdem Scholz Finanzminister geworden war, von ihm gefeuert worden ist (Beamtendeutsch: In den einstweiligen Ruhrstand versetzt), darüber kann man trefflich spekulieren.

Der Verdacht politischer Einflussnahme steht im Raum. Insgesamt dreimal hat Scholz den Warburg-Chef Olearius getroffen. Der damalige SPD-Kreisvorsitzende in Hamburg-Mitte, Johannes Kahrs, und das in Hamburg altbekannte SPD-Urgestein Alfons Pawelczyk sollen Olearius geholfen haben, ein Treffen zu bekommen. Kahrs erhielt zudem eine Spende für seinen Wahlkreis in Höhe von 45.000 Euro von einem Tochterunternehmen der Warburg-Bank.

Scholz wurde auf das erste Treffen inhaltlich vorbereitet, Olearius legte ihm zudem ein siebenseitiges Papier mit Scheinargumenten vor, weshalb seiner Bank die Rückforderungen erlassen werden müssten, etwa deswegen, weil die Bank sonst angeblich pleite gehe (was nachweislich nicht stimmte).

Scholz durfte sich als Bürgermeister in derart heikle Steuerangelegenheiten gar nicht einmischen. Doch einige Tage später rief er Olearius an und gab ihm den Tipp, das siebenseitige Papier „kommentarlos“ (mutmaßlich, damit man Scholz keine Verwicklung nachweisen kann) an den damaligen Finanzsenator und heutigen Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher zu schicken. Der gab das Papier an seine Behörde weiter, notierte aber noch in grüner Tinte, er wolle auf dem neuesten Stand gehalten werden: Nur acht Tage später erhielt Olearius die Nachricht, dass die Stadt die Rückforderung in Höhe von 47 Millionen doch nicht zurückverlange.

Von alldem sollte die Öffentlichkeit nichts erfahren. Noch im November 2019 lautete die Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken, es habe keine persönlichen Gespräche zwischen Senatoren und der Warburg-Bank über das Cum-Ex-Verfahren gegeben. Womit allerdings der heute Bundeskanzler in spe nicht gerechnet hatte, war, dass Olearius seit Jahrzehnten akribisch und höchst diszipliniert Tagebuch führt. Auch die Treffen mit Scholz hat er festgehalten.

So wurden dann ein Treffen nach dem anderen öffentlich, darunter das erste in Scholz‘ Amtszimmer. Ein Treffen fand in Anwesenheit eines Referenten statt, die weiteren zwei ohne Zeugen. Das Lügen und Verschweigen vor dem Ausschuss ist strafbar. Scholz, der Jurist ist, beteuerte, er könne sich an die Treffen nicht erinnern – Erinnerungslücken sind juristisch keine Lüge. Bei dieser Version bleibt er bis heute. Glaubwürdig ist das insofern nicht, als der Fast-Kanzler als detailverliebter Aktenwälzer mit gutem Gedächtnis gilt. Außerdem: An ein harmloses Treffen mit Olearius erinnert er sich, aber nicht an jenes, in dem es um 47 Millionen Euro Steuerrückzahlungen eines mutmaßlich Kriminellen geht?

Die Geschichte zwischen Scholz und Olearius ist lang und verzwickt, eine ausführliche Schilderung ist hier nachzulesen. Zusammenfassend festgehalten werden kann: Scholz hat mehrfach die Unwahrheit gesagt, er hat das Parlament belogen, und seine angeblichen Erinnerungslücken sind äußerst unglaubwürdig. Juristisch ist er damit bislang durchgekommen.

Die Sache ist noch lange nicht gegessen, sind sich De Masi und Schröm einig. Ein wichtiger Punkt sind die derzeitigen Strafermittlungen. Die damals für die Warburg-Bank zuständige Finanzbeamtin Frau P. sprach sich 2016 für eine Rückforderung der Cum-Ex-Gelder aus, plötzlich änderte sie ihre Meinung radikal. Frau P. wurde dieses Jahr als Zeugin geladen. Das Hamburger Abendblatt schrieb: „Zeugin entlastet Scholz und Tschentscher“.

Doch kurz nach der Bundestagswahl kam es zu Razzien bei Johannes Kahrs, Alfons Pawelczyk, im Hamburger Finanzamt – und auch bei der Sachbearbeiterin im Finanzamt zuhause. Ihr werden Begünstigung, Strafvereitelung, Geldwäsche und Untreue vorgeworfen. Es müsse nur eine Klitzekleinigkeit gefunden werden, und schon würde es für Scholz wirklich eng, sagt Schröm. Und irgendwas gebe es immer.

Auf den weiten Fortgang darf man gespannt sein. Aber die Scholz´schen Chancen stehen nicht schlecht, denn Banker wie Olearius sind schon von Berufs wegen veschlossen wie die Austern.