20. 8. 2021 Die Demokratie, ihre Rechtsstaatlichkeit und die Dienste
Wie weltweit alle Geheimdienste, und deshalb heißen sie ja Geheim-Dienste, sollten auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (Inlandsgeheimdienst) und der Bundesnachrichtendienst (Auslandsgeheimdienst) im Verborgenen arbeiten. Da könne sie sich eine Scheibe an der Organisation Gehlen (Vorgänger des BND) und an der Auslandsaufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit abschneiden.
Aber Thomas Haldenwang, der Chef des BfV, sucht geradezu die Öffentlichkeit. Dass er damit die Arbeit seines Dienstes deutlich erschwert, scheint sich der Jurist aus Wuppertal nicht vorstellen zu können. Keine Woche vergeht, in der er nicht mit seinem Dienstherrn, dem Bundesinnenminister Seehofer, in den Räumen der Bundespressekonferenz der staunenden Öffentlichkeit bekannt gibt, wen oder was er diesmal unter die Lupe nimmt. Dass damit das Objekt seiner Begierde gewarnt ist, bemerkt er nicht. Und dass er in seinem Mitteilungsbedürfnis ständig auch polizeiliche Themen anspricht, für die er gar nicht zuständig ist, ficht ihn ebenfalls nicht an.
Dem Bundesnachrichtendienst ist es auf eine andere Weise noch schlimmer ergangen. In seine Arbeit hat das Bundesverfassungsgericht eingegriffen, das sich nun um den Schutz der Grundrechte auf der ganzen Welt sorgt. Am deutschen Wesen …
Unter Vorsitz des von Angela Merkels dorthin beförderten Parteifreund Stephan Harbarth hat es im Mai 2020 die anlasslose Internetüberwachung im Ausland für verfassungswidrig erklärt. Die anlasslose Massenüberwachung verstoße in ihrer jetzigen Ausgestaltung gegen Grundrechte, urteilte das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe. Laut dieses Urteils muss der deutsche Staat das Fernmeldegeheimnis und die Pressefreiheit auch im Ausland wahren.
Die Verfassungsrichter gaben damit den Klagen gegen das 2017 in Kraft getretene BND-Gesetz statt. Geklagt hatten die Organisation Reporter ohne Grenzen, die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und weitere Medienorganisationen sowie mehrere ausländische Journalistinnen und Journalisten. Sie wandten sich gegen die sogenannte strategische Fernmeldeaufklärung im Ausland. Dabei durchforstet der BND ohne konkreten Verdacht große Datenströme auf interessante Informationen.
BND-Chef Harbarth sagte, diese vom Gericht verfügte Bindung verhindere, „dass der Grundrechtsschutz in einer internationalisierten Welt hinter dem Handlungsradius der deutschen Staatsgewalt zurückbleibt oder sogar unterlaufen werden kann“. Mit anderen Worten: Die internationale Bedrohung durch Terroristen, den IS, internationale Banden und sogar fremde Staaten wird immer akuter, aber unser Staat stellt die internationale Aufklärung weitgehend ein.
Seither ist der BND blind und taub. Die Taliban in Afghanistan, die in dem dünn besiedelten Land weitgehend über Funkverkehr kommunizieren, wurden damit der Beobachtung des BND entzogen. Seither fehlt die Feindaufklärung - nicht nur in Afghanistan.
Beispiel: Noch am Freitag soll der BND nach Berlin berichtet haben, er habe keine Informationen, dass es in den nächsten 24 bis 48 Stunden zu einer Zuspitzung der Lage in Afghanistan käme. Das politische Berlin begab sich ins Wochenende: Angela Merkel hielt die Festrede zu einer Filmpremiere über Frauen in der Bonner Politik; Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, als „Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt (IBUK) der Bundeswehr“ backte Flammkuchen für Flutgeschädigte, und Niels Annen, als Staatsminister im Auswärtigen Amt für Afghanistan zuständig, vergnügte sich auf einem Feuerwehrfest.
Als endlich die Maschinen der Bundesluftwaffe zu Wochenbeginn in Kabul landeten, war der Flughafen von Kabul bereits in Reichweite der Taliban und kurze Zeit darauf gesperrt.
Und jetzt wird ein Sündenbock gesucht, weil in Deutschland niemand mit dem derart schnellen Zusammenbruch in Afghanistan gerechnet hatte.
Gefunden wurde Bruno Kahl, seit 2016 an der Spitze des BND.
Dazu kommen politische Fehleinschätzungen linker Politiker. So meldet die New York Times, dass der US-Nachrichtendienst CIA den neugewählten US-Präsidenten Joe Biden im Juni bereits gewarnt haben soll, dass nach Abzug der ausländischen Truppen ein sofortiger Zusammenbruch der afghanischen Armee zu erwarten sei.
Biden ignorierte die Warnung. Bemerkenswert: Der CIA hat den BND und damit die Bundesregierung nicht darüber informiert. Deutschland gilt offenbar unter Merkel nicht mehr als zuverlässiger Partner. Der BND wiederum war für eine durchaus hochqualitative Funkaufklärung bekannt. Durch die Anordnung des BVerfG, die Funküberwachung einzustellen, verlor der BND auch seine „Handelsware“, also die Möglichkeit, mit befreundeten Diensten Informationen auszutauschen und auf Augenhöhe zu arbeiten.
Wenn Merkel jetzt Kahl entlässt, trifft es einen Mann, der die Zerstörung der Sicherheitsarchitektur nicht zu verantworten hat. Er ist ein klassisches Bauernopfer. Die Verantwortung trifft die Bundeskanzlerin und Kanzleramtschef Braun, die den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts umsetzten.