20. 06. 2021 Stern, Spiegel und die anderen politischen Magazine

Wenn das der legendäre Henri Nannen wüsste ...  Die Auflage des Stern befindet sich seit Jahren im freien Fall. In seinen besten Zeiten, z. B. 1967, verkaufte Gruner und Jahr vom Stern jede Woche 1,9 Millionen Exemplare. 2018, zu seinem 70. Geburtstag, wurden vom Stern nur noch knapp 530.000 Hefte abgesetzt. Inzwischen sind es gerade ´mal 370.000 Stück. „Der Schock ist gewaltig“, kommentierte der Redaktionsbeirat.  

Den anderen großen Nachrichtenmagazinen in Deutschland ging es nicht viel anders. Zwar war der Spiegel im vierten Quartal 2020 mit einer verkauften Auflage von rund 649.200 Exemplaren noch am erfolgreichsten. Der Focus konnte eine verkaufte Auflage von rund 252.000 Exemplaren verzeichnen, hat sich also quasi halbiert.

Da fragt man sich, wie konnten die politischen Magazine dermaßen abstürzen. Pars pro toto schauen wir uns einmal den Stern an. Er hat den höchsten Bekanntheitsgrad unter allen deutschen Publikumszeitschriften (96 Prozent), noch vor dem Spiegel (93 Prozent) und Focus (91 Prozent). Wir älteren Leser wissen: Mit aufwühlenden Fotostrecken über afrikanische Hungeropfer oder Titelbildern mit barbusigen Schönheiten machte der Stern Auflage.  Er sorgte für kontroversen Gesprächsstoff, als er 1971 in der Titelgeschichte „Wir haben abgetrieben!“ 374 Frauen ihren Schwangerschaftsabbruch bekennen ließ. Selbst als sich 1983 die Hitler-Tagebücher als plumpe Fälschung entpuppten, feixte zwar die Konkurrenz, aber der Stern verlor nicht allzu viel von seinem Glanz. Dort gab es einfach zu gute Autoren und Fotografen. Über viele Jahre hinweg vermochte der Stern eine Mischung von Geschichten zu bringen, die beim Publikum ankamen. Die Qualität der Texte von damals ist heute kaum noch vorstellbar. SPIEGEL und FOCUS standen dem nicht viel nach!

Doch das ist lange her. Heute wirkt der Stern humorlos, überraschungsarm, besserwisserisch, Haltung zeigend und angepasst. Er ist mit den anderen politischen Magazinen, allen voran der SPIEGEL, in die Falle des Bekenner-Journalismus getappt, in der die Berichterstattung weniger an den Fakten  als mehr an der Haltung der Redakteure resp. der Herausgeber ausgerichtet wird.

Während die Kanzlerin ihre eigene einst konservativ-liberale Union zu einer zweiten Sozialdemokratie im Lande wandelte, machte sie damit nicht nur die SPD überflüssig, sondern entzog damit der traditionell linksliberalen Hamburger Meinungsführerpresse Stern–Zeit–Spiegel immer mehr die Anlässe zur Kritik. Kein Wunder, dass sich die etablierte Presse heute wie Verlautbarungen des Bundespresseamts liest und damit häufig genug zu den Sorgen und Problemen der Bevölkerung auf Distanz bleibt, weshalb sich wiederum immer mehr Leser von ihr abwenden.

Als einzige Institution unter den Hamburger Großtiteln vermeldet übrigens die Zeit wachsende Auflagezahlen. Ihr Chef Giovanni di Lorenzo hat es offensichtlich verstanden, trotz linksliberaler Grundausrichtung dem  Trend entgegenzusteuern und mit überraschenden Standpunkten die Langeweile der üblichen Einheitssoße zu durchbrechen.

Magazine wie Spiegel und Stern hingegen liefern Woche für Woche vorhersehbare Beiträge zur Stabilisierung eines politisch korrekten Weltbildes, in dem Donald Trump die Inkarnation des Leibhaftigen ist, Migranten grundsätzlich eine Bereicherung darstellen, Deutschland strukturell rassistisch ist und Frauen sexistisch benachteiligt werden.
Aber sie – das ist schon fast böswillig  – unterdrücken auch Meldungen, die dieser Grundeinstellung wiedersprechen. Hier sei nur an die Vorkommnisse am Kölner Hauptbahnhof erinnert.

Ist es da ein Wunder, dass die Leser sich von derartigen Blättern abwenden? Das Internet ist deutlich informativer!

Als im Vorjahr in den USA der schwarzhäutige Gewaltverbrecher George Floyd auf nicht entschuldbare  Weise bei seiner Verhaftung von einem Polizisten zu Tode kam, fiel dem Stern nichts Peinlicheres ein als die Titelgeschichte: „Wie rassistisch bin ich? Eine Anleitung zur Selbsterkundung“. Nachdem seit den siebziger Jahren Generationen junger Deutscher zur Selbstkritik erzogen wurden, suhlen sie sich als Erwachsene bei jeder sich bietenden Gelegenheit in ritueller Selbstverachtung.

Zum Weltklimatag im September 2020 entwickelten die Stern-Macher gemeinsam mit den Klimaaktivisten von Fridays für Future ein komplettes Themenheft. Die Chefredakteure räumen auch freimütig ein: „Was die Klimakrise angeht, ist der Stern nicht länger neutral.“ Offener kann man NGO-Journalismus und Bewusstseinsgärtnerei wohl kaum eingestehen.

Im vergangenen November schließlich ließ die Redaktion im Stile des Bekennertitels von anno 1971 („Ich habe abgetrieben!“) 40 Frauen aus Spitzenpositionen deklamieren: „Ich bin eine Quotenfrau!“ Dass es für jede vernunftbegabte Frau eine Blamage sein müsste, an ihren Führungsjob nicht durch eigene Leistung, sondern durch Quotierung gelangt zu sein, kam niemandem in den Sinn.

Wir Leser wollen aber keinen Haltungs-Journalismus, sondern eine sachliche Information über die Fakten, damit wir uns eine eigene Meinung bilden können. Und wenn der Journalist glaubt, bestimmte Themen mit seiner eigenen Haltung garnieren zu müssen, dann steht ihm das in der gebotenen Form in den Kommentaren zur Verfügung, aber nicht in der Berichterstattung.

Beim Publikum scheint derlei gedankenarmes Gesinnungseinerlei immer weniger Zuspruch zu finden. Immerhin dürften die noch verbliebenen Stern-Leser gespannt sein, wie sich die politische Ausrichtung des Magazins mit dem neuen Politik-Chef Horst von Buttlar entwickelt. Der Mittvierziger hatte sich der Stern-Redaktion kürzlich als „konservativ-liberal“ vorgestellt. Dies könnte eine Chance sein für das Blatt. Denn der traditionelle Stern-Leser ist vergleichbar mit dem Stammwähler der SPD: ein bisschen kleinbürgerlich, bieder, lebt seinen Gemeinsinn in Vereinsehrenämtern aus, ein Gewohnheitsmensch mit wenig Sinn für Experimente, also SPD rechte Mitte – oder heute CDU.

Die Sozialdemokratie dümpelt in Umfragen bei 15 Prozent, weil die Funktionäre ihre Bodenhaftung verloren und dem Volksempfinden nichts mehr zu bieten haben. Zeitungmachen ist ein bisschen wie Politikgestalten: Wenn die Partei nicht zur Sekte verkommen soll, muss ein Parteiprogramm Polaritäten aufweisen. Nur Widersprüche machen das Leben spürbar. Ein bürgerlicher Liberaler mit aristokratischem Stammbaum könnte die pseudolinke Schlagseite in der Chefredaktion auswuchten, mehr Vielstimmigkeit und ein breiteres Themenspektrum ermöglichen. Ein politisch korrekter Stern hat keine Anreize. Denn Blättermachen ist ein bisschen auch wie Flirten – ohne elegante Übergriffigkeiten geht gar nichts.

Zeithistoriker werden später untersuchen können, wie in den Kanzlerjahren Angela Merkels eigentümliche Formen eines Bekennerjournalismus entstanden sind. Der Pluralität in unserem Lande tut es jedenfalls nicht gut!