28. 9. 2020 Was ist denn mit der ARD los?

Dass Schäubles Tochter Christine Strobl neue Programmdirektorin bei der ARD werden soll, sorgte diese Woche für einige Aufmerksamkeit. Dabei ging die andere, genauso interessante Personalie aus der öffentlich-rechtlichen ARD-Familie weitgehend unter.

Eine Personalie, die überraschend ist. Und vielleicht sogar ein bisschen Anlass zur Hoffnung gibt: ARD-Chefredakteur Rainald Becker wurde abgelöst und durch Oliver Köhr ersetzt. Oliver Köhr wird zum 1. Mai 2021 die Chefredaktion der ARD übernehmen – und damit etwa auch die Verantwortung für die Tagesschau. 

Was ist nur bei der ARD los, dass so einer plötzlich aufsteigt? Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, würden Skeptiker warnen. Spötter könnten sagen, dass die „Pensionskasse mit angeschlossenem Sendebetrieb” vielleicht einfach Köhrs Merkel-Kritik schon wieder vergessen hatte. Doch Optimisten könnten Hoffnungsschimmer für eine Abkehr von der Hofberichterstattung und eine Rückkehr zum Journalismus bei der ARD sehen. Eines scheint jedenfalls sicher: Noch mehr Hofberichterstattung wie unter Becker ist mit dem neuen Chef kaum möglich. Und auch wenn eine 180-Grad-Wende ausgeschlossen scheint – zumindest könnte es wieder öfter kritischere Töne geben. Und das wäre zumindest ein erster Schritt.

Zurück zu Rainald Becker, dem Mann, der regelmäßig wie ein strammer Einpeitscher der Regierung agiert und eigentlich auf der Gehaltsliste des Regierungssprechers stehen müsste. 
„Was der macht, das ist kein Journalismus mehr, das ist Agitation”, klagten damals Journalisten, „das ist der Stil von Karl-Eduard von Schnitzler.” Der Macher des “Schwarzen Kanals” im DDR-Fernsehen galt als Inbegriff linker Propaganda. Und der Medienkritiker Stefan Schulz schrieb über Becker: „Der ARD-Chefredakteur Rainald Becker bejubelt das Regierungshandeln regelmäßig auf eine Weise, die sogar Regierungssprecher Steffen Seibert peinlich wäre.“ 

Becker hielt mit seiner links-grünen Denke nicht hinter dem Berg. Im August 2019 schrieb der ARD-Chefredakteur auf twitter: „Wer nach 30 Jahren Einheit Die Linke immer noch als “SED-Erben” bezeichnet, hat nichts verstanden und gelernt.“ Im Mai 2019 zeigte Becker sich auf dem Bildschirm euphorisch über den Erfolg der Grünen bei den Wahlen des EU-Parlaments und meinte, vielleicht sei die Zeit reif für einen grünen Kanzler. Den europaweiten EU-kritischen Trend stellte er als Ausnahme dar und das deutsche Wahlergebnis als die Regel. Er erntete damit viel Spott, etwa die Frage eines twitter-Nutzers: „Kann ich meinen Rundfunkbeitrag als Parteispende steuerlich absetzen?“

Wer die Gebräuche beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk kennt, würde erwarten, dass Becker für so viel “Haltung” eine Beförderung verdiene. Und dass die Tage, bis er Intendant wird, gezählt sind.

Doch offenbar geschehen noch Wunder: Becker wurde kaltgestellt. Er werde nach nur fünf Jahren im Amt im nächsten Jahr “die Koordination zur Bundestagswahl übernehmen”, teilte die ARD mit.

Noch überraschender als seine Entmachtung ist die Nachfolge. Ausgerechnet Oliver Köhr wird zum 1. Mai 2021 die Chefredaktion der ARD übernehmen und koordiniert damit in der ARD-Programmdirektion aktuelle Sendungen wie Tagesschau oder Tagesthemen, politische und Verbraucher-Magazine, Dokumentationen, Reportagen und Sondersendungen, wie den Brennpunkt oder ARD extra und auch die Talksendungen. Der 44-Jährige Westfale ist stellvertretender Leiter des ARD-Hauptstadtstudios sowie stellvertretender Chefredakteur Fernsehen. Sein Name ist vielleicht noch recht unbekannt. Doch Köhr war es, der im April massiv Angela Merkel kritisiert hatte. So deutlich und mutig, dass viele schon munkelten, das könnte sein Karriere-Ende bedeuten bei der ARD. Merkels Kritik an den „Öffnungsdiskussionen“ sei „gelinde gesagt eine Unverschämtheit. Weniger gelinde ist es anmaßend“ – mit diesen Worten riss Köhr wohl so manchen Tagesschau-Zuschauer aus dem Halbschlaf. Aber nicht nur das: In Anbetracht der Grundrechtseinschränkungen in „noch nie dagewesenem Ausmaß“ sei die Diskussion über Lockerungen nicht nur normal, sondern notwendig: „Auch wenn es die Kanzlerin nervt.“