28. 3. 2020 Hanau und kein rechter Täter?

Für die Bundeskanzlerin und die Presse war unverzüglich nach der Tat klar, dass es sich bei dem Täter um einen Rechtsextremisten gehandelt habe, der vornehmlich von der AfD und ihren Gedanken beeinflusst gewesen sei.

Nun kommen selbst das Bundeskriminalamt und das Enthüllungsbüro von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung  in Person von Georg Mascolo und Florian Flade zum Ergebnis, dass der Anschlag von Hanau, der neun Menschen das Leben kostete, nicht von einem Täter mit rechtem Hintergrund begangen worden war, sondern von einem Kranken. Und das, obwohl die Opfer allesamt Menschen mit Migrationshintergrund waren.

Seine Opfer wählte Tobias R. offensichtlich gezielt aus: Die acht Männer und eine Frau, die er am 19. Februar im hessischen Hanau erschoss, in Shisha-Bars und auf der Straße, hatten alle einen Migrationshintergrund. Aber nicht, weil er etwas gegen Ausländer hätte, sondern weil er auf diese Weise mehr Öffentlichkeitswirksamkeit erzielen wollte. Für die Kanzlerin war allerdings sofort klar, dass es Rassismus war. Sie hätte vorsichtiger sein sollen, denn sie war schon bei den Vorfällen in Chemnitz vorschnell zu einer falschen Aussage gekommen, indem sie öffentlich kundtat, dass Ausländer durch Chemnitz „gejagt“ worden seien. Was letztlich demjenigen, der das richtiggestellt hat, das Amt gekostet hat.

Zurück zu Hanau! In dem 24-seitigen Manifest, das der Attentäter kurz vor seiner Tat ins Internet gestellt hatte, faselte er von einer Geheimorganisation, die Gedanken von Menschen manipuliere und sich auch in sein Gehirn eingeklinkt habe. Er schrieb aber auch, gewisse „Volksgruppen, Rassen und Kulturen" seien „in jeglicher Hinsicht destruktiv" und müssten daher "komplett vernichtet" werden.

Der Anschlag von Hanau war offensichtlich die Tat eines Mannes, der getrieben war von Verschwörungsideologien und von Verfolgungswahn. Ein arbeitsloser Bankkaufmann und begeisterter Sportschütze, der viel Zeit im Internet verbrachte und dort wohl allerlei wirre Thesen aufschnappte.

Aber er war kein typischer Rechtsextremist. Das Bundeskriminalamt (BKA) arbeitet derzeit an einem Abschlussbericht zum Attentat und kommt dabei nach Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung zu einem überraschenden Fazit, was den Täter und seine Motivation betrifft: Tobias R. habe zwar eine rassistische Tat verübt, aber sei kein Anhänger einer rechtsextremistischen Ideologie gewesen, so die Analyse des BKA. Er habe seine Opfer vielmehr ausgewählt, um größtmögliche Aufmerksamkeit für seinen Verschwörungsmythos von der Überwachung durch einen Geheimdienst zu erlangen.

Die BKA-Beamten haben dazu mehr als 100 Videodateien auf dem Computer und Handy des Attentäters ausgewertet, die allerdings nicht tatrelevant gewesen seien. Es seien zudem keine Hinweise  gefunden worden, dass Tobias R. sich mit rechter Ideologie beschäftigt habe.

Das soll auch die Befragung von Nachbarn, Bekannten und ehemaligen Kollegen ergeben haben. So soll R. in der Vergangenheit nicht durch rassistische Äußerungen oder Verhalten aufgefallen sein. Im Gegenteil: Einem dunkelhäutigen Nachbarn soll er mehrfach geholfen haben. Auch spielte er wohl in einer Fußballmannschaft, die überwiegend aus Spielern mit Migrationshintergrund bestand.

Aber er hat offensichtlich an Verfolgungswahn gelitten. Im November 2019 hatte R. den Generalbundesanwalt angeschrieben und darum gebeten, Ermittlungen wegen der angeblichen Überwachung durch einen Geheimdienst einzuleiten.

Rassismus sei nicht der dominierende Aspekt der Weltanschauung von Tobias R. gewesen, so die Einschätzung des BKA. Der 43-Jährige habe sich vor allem in Verschwörungsmythen rund um Geheimdienste hineingesteigert und offensichtlich an Paranoia gelitten. „Aus all den genannten Gründen blieb mir also nichts anderes übrig, als so zu handeln, wie ich es getan habe, um die notwendige Aufmerksamkeit zu erlangen", heißt es am Ende des Manifests.

Soweit die Fakten. Der Präsident des BKA wird seinen Bericht sehr vorsichtig formulieren müssen, will er nicht das gleiche Schicksal wie BfV-Maaßen erleiden, der es auch gewagt hatte, einer vorschnellen Kanzlerin zu widersprechen.

Für die Tat selbst gibt es keine Entschuldigung, egal ob Rassismus oder Paranoia dazu geführt hatten. Aber es gehört zu Wahrheit und Gerechtigkeit, diese Tat nicht Leuten in die Schuhe zu schieben, die mit der Sache nichts zu tun hatten.

Es tut mir leid, hier wieder einmal eine Lanze für die AfD brechen zu müssen, obwohl ich kein Mitglied dieser Partei bin. Aber auch die haben es verdient, wahrheitsgetreu und gerecht behandelt zu werden.