1. 1. 2020 Die Europäische Union muss sich erneuern
Immer mehr Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union haben ihre Probleme mit diesem supranationalen Konstrukt, das weder ein Staatenbund noch ein Bundesstaat ist. Die EU kennt keine Volkssouveränität und hat auch keine Verfassung, seit deren Entwurf seinerzeit an Frankreich und den Niederlanden gescheitert ist. Stattdessen bildet der Lissabon-Vertrag die rechtliche Grundlage dieses staaten-ähnlichen Gebildes.
Die EU ist aber kein Staat; es gibt kein einheitliches Staatsvolk, keine demokratische legitimierte Regierung, und die Staatsgewalt geht in Großen und Ganzen nicht vom Volke aus, sondern von den Regierungen der Mitgliedsstaaten.
So übt sich das Europäische Parlament in der Verabschiedung von Verordnungen, die tatsächliche Entscheidungsbefugnis liegt aber beim Europäischen Rat, in dem die Staats- und Regierungschefs der 26 Mitgliedsländer zusammenkommen und die allgemeinpolitischen Zielvorstellungen und die Prioritäten der EU festlegen. Darüber hinaus legt dieser Rat die Außen- und Sicherheitspolitik fest und bestimmt die Leiter der wichtigsten Europäischen Gremien, z. B. der EZB.
Daneben gibt es einen weiteren Rat, den Rat der Europäischen Union, Hier kommen die Fachminister der EU-Länder zusammen, um Rechtsvorschriften zu diskutieren, zu ändern und anzunehmen. Außerdem koordinieren sie ihre Politikbereiche.
Zusammen mit dem Europäischen Parlament ist der Rat der Europäischen Union das wesentliche Hauptbeschlussorgan der EU.
Ihre demokratische Legitimation begründen die beiden Räte mit den Wahlen in ihren Herkunftsländern, nicht mit den Wahlen zum Europäischen Parlament. Aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass so manche Entscheidung, die in den nationalen Gesetzgebungsorganen nicht mehrheitsfähig ist, auf die europäische Ebene gehoben, dort verabschiedet und dann national umgesetzt werden muss.
Nicht nur aus diesem Grunde wenden sich aber immer mehr Bürger, und mit ihnen einzelne Staaten von der EU ab. Man fühlt sich einer überbordenden Bürokratie ausgeliefert, mit nicht nachvollziehbaren Vorschriften gegängelt und in Verantwortungen gedrängt, die man als Mitglied eines Nationalstaates nicht möchte. Wenn es auch nicht gleich wie bei Großbritannien zum Brexit kommt, werden doch die Widerstände anderer Staaten (Polen, Slowakei, Ungarn u. a.) immer unüberhörbarer.
Und die Stimmengewinne der EU-kritischen Parteien in den nationalen Wahlen und auch bei der EU-Wahl sind nicht mehr zu übersehen. Auch die öffentlich vorgetragene Kritik an den Entscheidungen von Brüssel nimmt selbst unter Wohlmeinenden immer mehr zu.
Natürlich ist die Europäische Union alternativlos. Aber bevor von den Brüsseler Bürokraten immer mehr Bürger vergrault werden, bedarf es dingend einer Reform dieses quasi staatlichen Gebildes.
Die EU wird im Wesentlichen benötigt für Frieden, Wohlstand im gemeinsamen Binnenmarkt, Kompensation der relativ geringen Größe und Macht ihrer Mitgliedstaten und Bewahrung grundlegender Prinzipien der westlichen Zivilisation, nämlich Demokratie, Gleichheit, Freiheit und Solidarität.
Aber sie ist in ihrer jetzigen Form unfähig, ihre Krisen zu meistern. Deshalb sind tiefgreifende Reformen der EU notwendig.
Eine Rückkehr zum Nationalstaat wäre sicherlich verfehlt. Dennoch kann auf den gut-konstituierten Nationalstaat wegen dessen Vorteilen im Vergleich zur EU nicht verzichtet werden.
Bei der Vielzahl der Völker, Sprachen und Kulturen, aber auch der historischen Entwicklungen der einzelnen Völker in der EU ist in diesem Jahrhundert der Weg zu einem Bundesstaat nicht real. Er würde die Regierungen, vor allem aber die Menschen überfordern. Insofern müssen die Kompetenzen zwischen der EU und den nationalen Organisationen (Parlament, Regierung, Rechtsprechung) neu überdacht werden.
Dabei bedarf es sicherlich einer Neugestaltung der EU-Rechtsordnung, einer Überarbeitung der EU-Verträge, einer Aufwertung der nationalen Parlamente, einer untergeordnete Rolle der Europäischen Kommission, klarer Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofes sowie der Einführung eines Appellationsgerichts, bestehend aus Mitgliedern der nationalen Verfassungsgerichte, einer geänderten Zusammensetzung der Europäischen Zentralbank und anderer Maßnahmen, die hier den Rahmen sprengen würden.
Doch das will man nicht, gäbe es doch anderen Staaten die Gelegenheit, ebenfalls die EU zu verlassen.
Deshalb scheint die EU zu grundsätzlichen Reformen nicht fähig zu sein. So wurstelt man weiter vor sich hin und schiebt die Stimmengewinne nationaler Parteien auf die „dummen Wähler“, die den Wert der EU immer noch nicht erkannt haben.
Nur wie eine Reform in die Wege geleitet werden kann, das steht in den Sternen.