23. 12. 2019 Ist Deutschland noch ein Rechtsstaat?
Der Verfasser dieser Zeilen hat sich Zeit seines Lebens mit unserem Rechtsstaat identifiziert und war auf die Gewaltenteilung stolz. „In dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) hat er schon zu Beginn seiner Ausbildung gelernt, und man hat ihm auch den Unterschied zwischen einem Verfassungsschutz, der mit nachrichtendienstlichen Mitteln verfassungsfeindliche Bestrebungen beobachten soll, und Polizei und Justiz klar gemacht, die für die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung zuständig sind.
Aber in der jüngeren Vergangenheit kommen ihm doch Zweifel. Haben sich da Fehlentwicklungen eingeschlichen? Gilt wirklich noch „im Zweifel für den Angeklagten“? Da hat ein CDU-Mitglied vor acht Jahren Ordner gespielt bei einer rechten Organisation – ohne verbal oder gar tätlich in Auseinandersetzungen verstrickt gewesen zu sein. Oder da hatte ein 47-jähriges AfD- Mitglied offenbar als Zwanzigjähriger im Juli 1993 an einem sogenannten Sommerlager des rechtsextremen Vereins Die Heimattreue Jugend in einem thüringischen Dorf teilgenommen. Darf man ihnen das als „Jugendsünde“ verzeihen? Bei Reinhard Bütikofer, Winfried Kretschmann, Ursula Lötzer, Krista Sager und Ulla Schmidt, die vor Jahren dem maoistischen Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) angehört und die Bundesrepublik aktiv bekämpft hatten, hat man es doch auch getan, und sie sind sogar zu politischen Ehren gekommen!
Wenn es darum geht, politischen Organisationen der Rechtslastigkeit zu verdächtigen, ist der Verfassungsschutz nicht zimperlich. Man hat den Eindruck, dass er dabei von der Presse getrieben wird und alles als rechts ansieht, was auch unbedarfte Journalisten darunter subsumieren. Studentenverbindungen, gar schlagende, aber auch Heimatvereine, Bürgervereine, Schützenvereine sind ihm suspekt. Hinzu kommt, dass er öffentlich bekannt gibt, wen er überwacht oder unter Beobachtung stellt oder zumindest als Verdachtsfall einordnet. Giert er nach Lob grünlinker Journalisten oder Politiker? Ist ihm das wichtiger als eine effiziente Arbeit, wenn ihm dabei egal ist, dass er sich die Arbeit schwerer macht, weiß doch nunmehr der Betroffene, womit er rechnen muss?
Er greift auch regelmäßig zu nebulösen Formulierungen, um die Rechtmäßigkeit seines Handelns öffentlich zu beweisen. So wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Indiz für rechte Gesinnung angesehen, wenn sich jemand für Heimat, Freiheit (!) oder Tradition einsetzt (vgl. Begründung BfV für die Überwachung der Identitären Bewegung).
Es gibt eine Grenze zwischen Gesinnungsschnüffelei und rechtsstaatlichem Schutz der Verfassung, und beim genauen Studium des Teils der Verfassungsschutzberichte, mit denen rechte Organisationen genannt werden, scheint diese Grenze doch ziemlich verschwommen zu sein.
Die Presse nimmt das begierig auf und applaudiert, statt einmal die wenig handfesten Gründe für eine Überwachung zu hinterfragen. Ist denn wirklich ein Verfassungsfeind, wer sich für Heimat, Freiheit und Tradition einsetzt? Zusammen mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das auch noch die Verantwortung für die Einordnung ins rechte Lager auf Private wie Facebook und seinesgleichen übertragen hat, fragt man sich, ob denn die Meinungsäußerungsfreiheit unseres Grundgesetzes noch gewahrt ist.
Und die Staatsanwaltschaft hat auch schon Verdachts-Akten angelegt, wie die jüngsten Beispiele aus der rechten Szene zeigen. Was sind "Verdachts"-Akten? Wenn der Verdacht einer Straftat besteht, muss Anklage erhoben werden! Die Staatsanwaltschaft soll zusammen mit der Polizei und dem polizeilichen Staatsschutz ermitteln, zeitnah Anklage erheben und mit Verve ihre Anschuldigungen vor Gericht vertreten. Aber über Verdachtsakten ist in der Strafprozessordnung nichts zu finden. Das wollten die Väter des Grundgesetzes auch nicht, denn gegen Anschuldigungen und Anklagen kann man sich mit Verteidigern und rechtsstaatlichen MItteln wehren, gegen nebulöse Verdachtsakten nicht.
Um es auf den Punkt zu bringen: im Sinne der Rechtsstaatlichkeit des staatlichen Handelns von Justiz, Polizei und Verfassungsschutz sollten die Organisationen verboten werden, die unseren Rechtsstaat beweiskräftig bekämpfen. Das gilt für rechts wie für links. Bei der Antifa zum Beispiel ist die US-Regierung deutlich stringenter.
Aber solange die Organisationen nicht verboten sind, darf man den Menschen, die sie unterstützen, keine Nachteile angedeihen lassen. Wie eingangs erwähnt: In dubio pro reo!