15. 7. 20119 Seenotrettung im Mittelmeer
Ja, so langsam melden sich auch diejenigen zu Wort, die – wie die meisten Deutschen – die sogenannte Seenotrettung als das ansehen, was sie wirklich ist, nämlich eine Beihilfe zur illegalen Einreise. Zwar hat jeder Schiffseigner oder Kapitän das Recht, mit seinem Schiff im Mittelmeer zu kreuzen und in internationalen Gewässern Flüchtlinge und Migranten aufzunehmen. Er ist sogar nach der Seerechtskonvention von 1911 dazu „verpflichtet, allen Personen, selbst feindlichen, die auf See in Lebensgefahr angetroffen werden, Beistand zu leisten, soweit er dazu ohne ernste Gefahr für sein Schiff und für dessen Besatzung und Reisende imstande ist.“
Doch wie kam die Situation überhaupt zustande? Der Normalfall ist eine Situation, in der ein Schiff im Sturm, aufgrund eines Maschinenschadens oder einer Havarie so stark beschädigt ist, dass es zu sinken droht. Daraufhin werden über Funk die Küstenwache oder der Seenotrettungskreuzer alarmiert, die sofort auslaufen, um die Schiffbrüchigen zu retten. Seenot ist mithin etwas, in das man „gerät“, nicht etwas, in das man sich willentlich begibt. Der Sturm ist ein Ereignis, das über einen hereinbricht, er ist alles andere als beabsichtigt oder ein kalkuliertes Risiko.
Von dem ist das, was sich heute im Mittelmeer abspielt, grundverschieden, zeigt doch die Handlungskette, die diese Lage erst herbeigeführt hat, ein anderes Bild:
Die Flüchtlinge sind vor Krieg und Verfolgung geflohen, die Wirtschaftsmigranten sind aufgebrochen, um für sich und ihre Familie ein neues Leben in Europa zu beginnen. Sie haben sich für die Fluchtroute über Libyen entschieden, und es ist kaum glaubhaft, dass sie nicht über die Gefahren für Leib und Leben informiert waren, die sie dort erwarteten. Sie haben es trotzdem gewagt. Der Wunsch, um jeden Preis nach Europa zu gelangen, war stärker. Die gleiche Risikokalkulation gilt für das Besteigen der seeuntüchtigen Schlauchboote. Sie bringen sich bewusst in Lebensgefahr, haben aber die Hoffnung (vielleicht sogar das Versprechen der Schelpper), von einen NGO-Rettungsschiff aufgenommen zu werden. In der Regel ist diese Hoffnung begründet, in einigen Fällen jedoch nicht. Sie haben sich in Gefahr gebracht und kamen darin leider um. Das klingt mitleidslos, aber wer das als hartherzig oder zynisch verurteilt, sollte bessere Erklärungen beibringen.
Für die NGOs stellt sich die Situation naturgemäß anders dar. Die unmittelbare Aufnahme der Flüchtlinge an Bord des Rettungsschiffes ist sicherlich eine Rettung. Doch was danach geschieht, das Kurs-Nehmen auf einen südeuropäischen Hafen, ist schlichtweg Schleppen. Warum bringt man die Menschen nicht in einen Hafen in der Nähe? Libyen und Tunesien sind nicht weit entfernt.
Hier soll nicht an die Staatsanwaltschaft in Catania (Sizilien) erinnert werden, an die Küstenwache der Libyer oder an die Berichte der EU-Frontex-Mitarbeiter, die Beweise für Absprachen zwischen den Schleusern und den Hilfsschiffen haben. Die Tatsache, dass die Schlepper für die Motoren der Schlauchboote nur soviel Benzin mitgeben, dass es gerade für die 12-Meilen-Zone reicht, spricht Bände.
Insofern handelt es sich offensichtlich um eine unausgesprochene Kooperation von kriminellen Schleppern in Libyen und humanen Schleppern auf den Seenotschiffen. Sicher sind die Motive und Beweggründe bei den Aktivisten der NGOs völlig anders, denn sie erhalten kein Entgelt, sieht man von den Organisationen und Stiftungen bestimmter politischer Parteien ab, die das Unternehmen finanziell fördern.
Trotzdem ist das Bestreben irreführend, das ganze Unternehmen nur als Rettung aus Seenot darzustellen. Dies zeigt sich auch daran, dass hier vom üblichen Verfahren der Rettung auf See grundsätzlich abgewichen wird. Wären es wirklich Schiffbrüchige, so müssten sie sofort in den nächsten sicheren Hafen gebracht werden. Und „sicher“ heißt hier: fester Boden unter den Füßen, medizinische Betreuung, Versorgung mit Essen und warmer Kleidung. Es kann nicht heißen: geschützt vor politischer Verfolgung und krimineller Repression, zumindest nicht im Deutungsrahmen der Seenotrettung.
Tatsächlich herrschen die abstrusesten Begründungen – alle mit dem Ziel, die Aktionen moralisch zu überhöhen und die Sachverhalte zu vernebeln. So begründete die Mannschaft der „Alan Kurdi“ ihren Entschluss, sofort wieder die Rettungszone vor Libyen anzusteuern, unter anderem damit, dass das anhaltend ruhige Wetter den Schlauchbooten gute Bedingungen für eine Abfahrt biete (FAZ vom 9. Juli 2019). Man muss sich die verquere Logik dieser Argumentation einmal vor Augen führen: Normalerweise ist ein Sturm die Ursache dafür, dass Menschen in Seenot geraten. In diesem Fall wären ein Sturm und eine hohe Brandung gerade die Ursache dafür, Menschen davon abzuhalten, sich in Seenot zu begeben.
Gewiss, es gibt starke moralische Gründe, die Geretteten nicht nach Libyen zurückzubringen. Nur muss man für die damit verbundene Rechtsbrüche und Gesetzesübertretungen auch die Konsequenzen tragen – wobei das Risiko einer längeren Inhaftierung bei der Übermacht einer moralisierend-skandalisierenden Öffentlichkeit denkbar gering ist.