28. 6. 2019 Ist Deutschland unsozial?

Schon oft haben wir Potsdamer Demokraten an dieser Stelle versucht, mit der Mähr eines unsozialen Deutschlands Schluss zu machen – vergeblich. Es gibt offensichtlich einen deutlichen Unterschied zwischen den Tatsachen und der öffentlichen und der medialen Wahrnehmung wichtiger gesellschaftlicher Themen in Deutschland. Das machen die Äußerungen linker Politiker in der Öffentlichkeit nicht besser, die vom reichen, aber unsozialen Deutschland sprechen, in dem die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinanderklafft.

Dabei geben wir laut Sozialbericht der Bundesregierung jährlich ca. 1 Billion (!) Euro für soziale Leistungen aus. Statistisch ergibt das bei 80 Mio. Deutschen die Summe von 12.500 Euro pro Person, Kinder, Ehegatten und Pflegebedürftige eingeschlossen. Aber die Politik findet immer noch öffentlichkeitswirksam irgendwo jemanden, an dem der Reichtum spurlos vorübergegangen ist, seien es die Hartz IV-Empfänger, seien es die Obdachlosen oder seien es Senioren mit geringer Rente. Dabei sind nur die Letzteren glaubhaft, was hier in unserem Teil Deutschlands durch die Lebens-Brüche in der Wendezeit nachvollziehbar ist.

Doch Deutschland ist weder reich noch ungerecht. Staatliche Maßnahmen wirken nicht so, wie sie öffentlich dargestellt werden, und die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Eingriffen in das System sind erheblich. Experten verbreiten Studien, ohne offenzulegen, dass sie eine eigene politische Agenda verfolgen. Journalisten verbreiten am liebsten jene Nachrichten, die das eigene Weltbild stützen, die Bürger interessieren sich nicht wirklich für die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Und die meisten Abgeordneten des Europäischen Parlaments oder der Bundes- und Landtage sind schlichtweg überfordert.

All dies führt dazu, dass wir ungebremst den Wohlstand dieses Landes verschleudern. Es ist höchste Zeit, dass die Wirtschaft in das Zentrum der Überlegungen zurückkehrt. Nicht, weil sich alles der Wirtschaft unterordnen sollte, sondern damit wir bei den wichtigen Fragestellungen von Umweltschutz bis Sozialstaat nicht vergessen dürfen, nämlich wer das alles bezahlen soll. Ohne eine erfolgreiche Wirtschaft riskieren wir unseren Wohlstand und den sozialen Zusammenhalt.

Nach den Daten der OECD gehört Deutschland zu den Ländern mit der geringsten Ungleichheit der verfügbaren Einkommen; außerdem ist es das Land mit dem geringsten Armutsrisiko. Das liegt daran, dass der Staat in erheblichem Umfang umverteilt. Nur Irland und Frankreich nivellieren den Unterschied der Markteinkommen stärker, als wir das tun. So liegt der Gini-Koeffizient (Maßstab der Gleichverteilung; 0 = alles gleich; 1 = einer hat alles, alle anderen nichts) vor Umverteilung bei rund 0,5, nach Umverteilung bei 0,29 – und dies seit mehr als zehn Jahren stabil.

Rente, Kranken- und Pflegeversicherung, Hartz IV, Bafög, Kindergeld – alles zusammengerechnet erreichten die Sozialausgaben 2017 den Rekordwert von 965,5 Milliarden Euro (29,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) und sind damit so hoch wie noch nie in Nichtrezessionszeiten. Die Bundesregierung plant einen weiteren Anstieg der Sozialausgabenquote des Bundeshaushalts bis 2023 von derzeit 50,4 auf 52,9 Prozent. Die – bedingungslose - Grundrente ist in diesen Zahlen noch nicht berücksichtigt.

Die andere Seite dieser Umverteilung ist die zweithöchste Abgabenbelastung aller OECD-Staaten. Nur in Belgien müssen die Arbeitnehmer mehr abgeben. Der deutsche Spitzensteuersatz beginnt beim 1,3-Fachen des Durchschnittseinkommens. In den sechziger Jahren musste man noch das 15-Fache des Durchschnittseinkommens verdienen, um zu den Spitzensteuerzahlern zu gehören. Die Schweizer Neue Züricher Zeitung spricht von der „Steuerhölle“ Deutschland.

Ein Grund dafür, dass die Markteinkommen bei uns vor Umverteilung genauso ungleich verteilt sind wie in den USA, ist der deutlich gewachsene Niedriglohnsektor. Als Niedriglohnbeschäftigter gilt, wer weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns (Median) aller sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten erhält. 2017 war das in Westdeutschland bei einem Monatsverdienst von 2226 Euro und im Osten von 1733 Euro der Fall. Rund 20 Prozent der Vollzeitbeschäftigten arbeiten zu einem Niedriglohn, wobei die Quote in Ostdeutschland mit 33,6 Prozent doppelt so hoch ist wie in Westdeutschland.

Bleibt die behauptete zunehmende Armutsgefährdung. Arm ist, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verdient, also unterhalb eines Netto-Jahreseinkommens von 12.765 Euro liegt. Das waren 2016 in Deutschland 16,5 Prozent der Bevölkerung.  Das Signifikante an dieser Prozentualrechung ist, dass sich an dem Anteil der Armutsgefährdeten nichts ändern würde, auch wenn jeder 1.000 Euro mehr verdiente.

Die Umverteilung reduziert die Ungleichheit der am Markt erzielten Einkommen weitgehend, was Deutschland zu einem der Länder mit der sozialsten Verteilung der verfügbaren Einkommen macht. Dafür ist die Steuer-Belastung der Arbeitnehmer erheblich (vgl. oben), was zu der umgekehrten Frage führt: Ist das gerecht?

Die „schwarze Null“ im Bundeshaushalt gilt als Beweis für solides Wirtschaften unserer Politiker. Seit Jahren werden Überschüsse erwirtschaftet, die Schulden sinken – so der Eindruck. Die Wahrheit sieht anders aus: Allein auf Bundesebene wurden in den vergangenen zehn Jahren rund 460 Milliarden zusätzlich ausgegeben. 280 Milliarden Mehreinnahmen, 140 Milliarden gesparte Zinsen und rund 40 Milliarden weniger Ausgaben für den Arbeitsmarkt. Die Mehrausgaben flossen vor allem in den Sozialbereich. Dabei wurden die Ausgaben nicht nur einmalig erhöht, sondern in Gesetzen festgeschrieben. Würde der Staat wie ein Unternehmen bilanzieren, wäre offensichtlich, dass die Schulden nicht gesunken, sondern im Gegenteil durch diese Verpflichtungen gestiegen sind.

Fazit: Die „schwarze Null“ ist eine Mogelpackung, der Staat gibt so viel Geld aus wie noch nie, und die in den kommenden Jahren geringer als erwartet ausfallenden Zusatzeinnahmen des Staates hat die Politik schon längst für soziale Projekte verplant. Hier sei nur an die bedingungslose Grundrente erinnert! Nötig ist ein deutlicher Kurswechsel, weg von Konsum hin zu Investitionen. Doch das traut sich die Politik nicht und gefährdet weiterhin unseren Wohlstand.