23. 10. 2018 Ist die EU am Ende?

Die Europäische Union hat wenig bis nichts dazu gelernt. Der Brexit und das Erstarken europakritischer Parteien hätten für die Euro-Bürokraten Grund genug sein können, ja müssen, ´mal an die eigene Nase zu fassen, warum so etwas passiert.

Aber von Selbstkritik keine Spur. Stattdessen nannte man alle Kritiker Populisten, Nationalisten oder – schlimmer noch – Nazis und wusch sich damit von allen Fehlentwicklungen rein.Schuld an dieser Entwicklung hat nicht die EU, sondern ihre Kritiker!

Natürlich gibt es die EU noch, ihre Organe arbeiten zuverlässig und bürokratisch wie eh und je. Und sie beglückt die Bürger ihrer Mitgliedsstaaten immer noch mit absurden und unnötigen Vorschriften wie z. B.: Die neuen Berliner S-Bahn-Züge, die ab 2021 eingesetzt werden sollen, bekommen aufgrund einer EU-Richtlinie ein neues und besonders nervig piepsendes Türschließsignal. Kein Dü-Di-Dü mehr in Berlin.

Ärgernisse wie dieses dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die EU seit mindestens drei Jahren nicht mehr funktioniert. Die Staats- und Regierungschefs, die sich am Mittwochabend zu einem neuen Gipfel in Brüssel versammelt haben, finden in wichtigen Fragen keine gemeinsame Linie mehr. Statt zu wirklichen Kompromissen kommt es seit Jahren nur noch zu gesichtswahrenden Scheinlösungen. Deshalb ist es kein Wunder, dass In immer mehr Staaten sogenannte populistische Parteien an Bedeutung gewinnen, die eine weitere Integration ablehnen.

Die Währungsunion war von Anfang an eine Fehlkonstruktion. Der Euro hat den Ländern des Südens enorm viel Wachstum und Wohlstand gekostet, während er der deutschen Wirtschaft einen enormen Exportboom beschert hat. Die Ungleichgewichte sind nicht kleiner, sondern größer geworden, so dass ein Ende mit Schrecken statt des Schreckens ohne Ende immer wahrscheinlicher wird.

Das zweite große Thema, an dem das Scheitern der europäischen Integration sichtbar zu Tage tritt, ist die Flüchtlingsfrage. Nachdem die deutsche Bundeskanzlerin die Dublin-Regelung im Jahr 2015 erst für obsolet, dann wieder für gültig erklärte, sorgt das Thema für dauerhaften Streit.

Das dritte Thema entstand gewissermaßen als Nebenwirkung des zweiten: der Brexit. Angela Merkels Flüchtlingspolitik spielte für das Votum der Briten eine entscheidende Rolle, sie befeuerte die ohnehin vorhandene migrationsskeptische Stimmung. Die EU bemüht sich, dem Vereinigten Königreich den Weg zum Brexit so steinig wie möglich zu gestalten, schon um mögliche Nachahmer abzuschrecken. Dabei könnte dieser für die Briten, anders als oft zu lesen, durchaus zu einem Erfolg werden. Die EU regiert mit dem Europäischen Gerichtshof, dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat nicht mehr in die britische Hoheit hinein. Deshalb werden die U-Bahnen in London ihre Klingelzeichen beim Schließen der Türen behalten.

Auch das vierte Problemthema hat mit Angela Merkels Flüchtlingspolitik zu tun. Sie trug dazu bei, dass die Osteuropäer lernten, "Nein" zu sagen. So tat sich eine Kluft zwischen West- und Osteuropa auf, die sich nicht mehr schließt.

Für keines der hier nur kurz angerissenen Problemfelder zeichnet sich eine Lösung ab. Auch wenn die EU in ihrem gegenwärtigen Zustand noch Jahrzehnte dahinvegetieren kann, ist ein teilweises oder vollständiges Auseinanderbrechen aus heutiger Sicht deutlich wahrscheinlicher als eine weitere Integration. Denkbar wäre auch eine Neuerfindung der EU in ihrer früheren Form, als ein Staatenbund mit einem gemeinsamen Wirtschaftsraum.

Denn zu einer Neuausrichtung ist die EU offensichtlich nicht fähig.

Deutschland übte in den vergangenen Jahren eine wirtschaftliche und teilweise auch politische Dominanz über EU-Europa aus. Das Ausüben der politischen Hegemonie erfolgte aber eher unwillig und derart ungeschickt, dass sie nicht von Dauer sein konnte.

Wenn Merkel von "europäischen Lösungen" spricht, versteht der Rest der EU sehr wohl, dass sie die Umsetzung deutscher Vorstellungen auf europäischer Ebene verlangt. Und genau das funktioniert nicht mehr.

Merkel dürfte, im völligen Kontrast zu ihrer europafreundlichen Rhetorik, als die Person in die Geschichte eingehen, die den Sprengsatz an die Europäische Union gelegt und die Lunte gezündet hat, mit ihrer Flüchtlingspolitik als eines der größten politischen Eigentore unserer Zeit. Für die Bürger wird ein Ende der EU in ihrer heutigen Form keine schlechte Nachricht sein. Vielleicht besteht sogar für das Dü-Di-Dü der Berliner S-Bahn noch Hoffnung.

Noch eine Anmerkung des Verfassers: Es wäre mehr als schade, wenn die EU auseinanderfiele – aber zur Erneuerung bleibt nicht mehr viel Zeit.