8. 8. 2018 Die Medienszene ist randvoll mit Moral

Die Presse spielt sich zu Inquisitoren auf gegen jeden, der es wagt, die vorgegebene Meinung in Frage zu stellen oder - noch schlimmer - zu opponieren. Und unter dem Deckmantel des vorgegebenen Guten ist viel Bigotterie und Heuchelei anzutreffen

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat sich längst als vierte Gewalt etabliert, die zwar nichts zu entscheiden und zu verantworten hat, ihre faktische Machtlosigkeit aber nach Kräften durch die Macht der Moral zu substituieren sucht. Am augenfälligsten wird diese Selbstermächtigung allabendlich in ihren Nachrichtensendungen. Das Fernsehen zelebriert sie in Studios, die ausgestattet sind wie Zentralen einer Weltregierung: mit Ehrfurcht gebietenden Theken, bedeutungsvoll projizierten Schaubildern, Fotos und Karten – vor allem aber mit kummervollem oder vorwurfsvollem Moderatorenblicken, die die Zuschauer auf den Ernst der Lage einstimmen, der natürlich jeweils gerade in höchstem Maß nach Meinung der Verantwortlichen gegeben ist. Ja, die Medienszene ist randvoll mit Moral. „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“, lautet die neue Freiheit der journalistischen Volkserzieher. Der freien, frechen, fröhlichen Politik fehlt die Luft. Sie ertrinkt in Verdächtigungen und Verurteilungen – Demokratie als Strafprozess statt als Fest. Vom flegelhaften Verhalten der Moderatoren als Interviewer der Politiker und Minister soll hier gar nicht die Rede sein, trifft es doch besonders die Vertreter der politischen Richtungen, die den öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht genehm sind, also AfD- oder CSU, gelegentlich die FDP.

Der brillante Sarkastiker Jan Fleischhauer, der mit seiner Kolumne die letzte Enklave unbotmäßigen Denkens im Spiegel besetzt, nennt die korrekten Kohorten der Öffentlich-Rechtlichen „Merkels Leibgarde“, was bei der Migrationsthematik zutrifft, letztlich aber viel weiter greift:

Die Medienkaste, zumal deren Hauptstadt-Clique, fungiert jenseits ihres Merkel-Kultes als Leibgarde des Großen-Ganzen-Guten, nichts weniger. Und weil man ja selbst so grandios gut ist, streicht man der Politik, obwohl sie sich gerade noch so ungebärdig aufführte, auch mal begütigend über das Köpfchen, was Die Zeit, das Blatt des allergrößten Guten, meisterhaft zu inszenieren wusste: Merkel und Seehofer strahlend nebeneinander auf Seite eins, darunter als Wochentitel der pädagogisch perfekt mahnende Spruch: „Jetzt ist aber gut!“

War es bloß eine „Wirtshausrauferei“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte? Oder doch eher „ein Taumel der Verantwortungslosigkeit“, wie Hans-Ulrich Jörges das Geschehen im Stern zu bewerten wusste – um gleich noch düster zu prophezeien: „Die deutsche Welt zerfällt.“ Der Spiegel ließ auf der Titelseite Schwarz-Rot-Gold zerfließen und symbolisierte damit Deutschlands Selbstauflösung. Die Zeile dazu entlieh das Magazin der Märchenwelt: „Es war einmal ein starkes Land.“ Was nun, Deutschland, Europa oder die ganze Welt? Kleiner geht es nun mal nicht, wenn Deutschland in Erregung gerät. Das Drama hat Weltformat, ob bayerisches Laienspiel oder Berliner Showbühne: Die Hauptdarsteller sind tunlichst als Schicksalsfiguren zu inszenieren – der Böse gegen die Gute.

Die Süddeutsche Zeitung sah in den Irrungen und Wirrungen um die Zurückweisung bereits in anderen EU-Ländern registrierter Asylbewerber an der deutschen Grenze eine „Anti-Merkel-Verschwörung“ – unstatthaft und irgendwie im Ruch des Landesverrats. Heribert Prantl, Pressesprecher des Pastorenpopulismus in der SZ, kanzelte die Verschwörer aus Bayern als „großkotzig“ ab, unterstellte ihrem Anführer „Verbitterung“ und „Hass“, ja schiere „Raserei“ – das war kein Journalismus mehr, nur noch ein Dokument inquisitorischen Furors, wie er in der deutschen Publizistik mal wieder fröhliche Urständ feiert.

Der Engel aus der Uckermark, der seit 13 Jahren die Lufthoheit im Himmel über der Hauptstadt innehat, widersteht dem Bösen aus Bayern. Die Zeit, einst hanseatisch kühl dem analytisch-liberalen Journalismus verpflichtet, griff zu den Insignien der Heiligenverehrung und zeigte Angela Merkel ganzseitig als Gemälde, einsam und entschlossenen Schrittes unter einem Baum, im Vordergrund eine Wiese, im Hintergrund ein See, der heraufziehende Vollmond über einem bereits nachtdunklen Hügel.

Der Text zu diesem Kitsch wurde begleitet von Versen aus dem Abendlied von Matthias Claudius. Die Quintessenz des Autors Bernd Ulrich: „Vielleicht hat noch nie zuvor ein mächtiger Mensch über einen so langen Zeitraum so viel schiere Politik gemacht, eine vergleichbare Menge an Problemen in Lösungen verwandelt, mehr Macht aus seiner Macht generiert.“ In Ermangelung jeglicher Ironie klingen solche Sätze geradezu übergriffig. Muss man Angela Merkel vor der Zeit in Sicherheit bringen? Muss man die deutsche Politik vor dem deutschen Journalismus in Sicherheit bringen?

In der FAZ eilt Peter Graf Kielmansegg dem Berliner Betrieb zu Hilfe: „Verteidigung der Politik“ überschreibt er seinen ganzseitigen Essay, in dem er vor „ideologischen Fixierungen“ warnt, „die sich ja immer auf Erfahrungsresistenz gründen“. Kiel­mansegg hat die aktuelle Lage fest im Blick: „Auch wird es umso schwieriger mit dem diskursiven Modus, je stärker der Diskurs moralisch aufgeladen wird – die Tendenz dazu ist in Begriffen wie Gerechtigkeit, Solidarität oder Frieden angelegt. Denn anders als das politische stellt das moralische Argument die Legitimität des Gegenargumentes in Frage.“

Exakt so verlief denn auch die Sommerschlacht um Seehofers Masterplan zur Asylpolitik: Der Innenminister wurde moralisch niedergemacht, die Kanzlerin moralisch überhöht. Doch den beiden ging es um Politik, um die Sache selbst wie um die Macht. Das moralische Mantra der Medien verwandelte die profane Angelegenheit zu einer Frage von Gut und Böse.

Es gibt eben Vertreter politische Anschauungen wie FDP. CSU und AfD, da haut jeder Journalist gern drauf, ob berechtigt oder nicht.

Die Printpresse bekommt die Quittung dafür: immer mehr Menschen bestellen die Tageszeitungen ab. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat sich mit seinem Gebühreneinzug eine Schonfrist verschafft, aber das Grummeln im Lande und in Europa wird immer stärker.