2. 8. 2011 Stammtische, Bürgerinitiativen und Politik
Am Stammtisch lässt sich´s trefflich diskutieren. Jeder hat die Lösung der Probleme parat und von Glas zu Glas wird sie einfacher – oder man bekommt sich alkoholenthemmt gewaltig in die Wolle.
Besser ist es deshalb, man gründet eine Bürgerinitiative. Man muss nur n paar Gleichgesinnte finden, aber auch mit seinem Lebens-/Ehepartner ist man schon zu zweit und kann sich Bürgerinitiative nennen. Meistens findet man noch einige andere, und schnell sind ein paar Nachbarn oder Straßenmitbewohner dabei. Der gemeinsamen Interessen gibt es viele, und ein probates Mittel ist der Straßenverkehr. „In unserer Straße bitte kein Durchgangsverkehr, sollen die doch sehen, wo sie mit ihren die Umwelt belastenden Blechkisten bleiben!“ Der Zusatz „Wir behalten uns aber das Recht vor, mit unseren Autos durch die Wohnstraßen anderer zu fahren“ wird angelegentlich unterschlagen. Die Forststraße, die Zeppelinstraße und die Hans-Thoma-Straße sind gute Beispiele.
Dann ist auch schnell die Presse dabei! Über Unstimmigkeiten lässt sich doch besser berichten als über Harmonie! Deshalb bekommen die Bürgerinitiativen sofort einen großen Raum in den Print-Medien, und die Sprecher der Initiativen freuen sich ob ihres plötzlichen Bekanntheitsgrades. Jetzt erst recht, denn nur immer neue Aktivitäten gewährleisten ein gleichbleibendes Presse-Echo.
Bürgerinitiativlinge engagieren sich – manchmal sogar mit bewundernswerter Verve – in politischen Fragen, die sie tangieren. Aber auch nur dort ! Insofern stehen sie unter dem Generalverdacht, sehr subjektive Ziele zu verfolgen und damit recht einseitig zu sein – manchmal zu Lasten der Interessen der Allgemeinheit. Böse Zungen sprechen sogar von ausgeprägtem Egoismus
Natürlich wissen die Bürgerinitiativlinge auch alles besser! Die Verwaltung und die Politik sind die Bösen und informieren entweder gar nicht oder falsch, und die Wahrheit liegt natürlich bei den Guten (selbstverständlich den Mitgliedern der Bürgerinitiative), die hier etwas gelesen, dort etwas gehört oder da etwas aufgeschnappt haben. Gutachten der Europäischen Union oder der Bundesregierung (gleich welcher Couleur) werden als unwahr bezeichnet oder als Gefälligkeitsgutachten diffamiert.
In einem Rechtsstaat kann man gegen Pläne der Verwaltung, egal ob Bundes-, Landes- oder Kommunalverwaltung, rechtlich vorgehen. Ob ein Bahnhof geplant wird wie in Stuttgart, ein Flughafen wie seinerzeit in Frankfurt/Main („Startbahn West“) oder heute in Schönefeld – da werden Pläne erarbeitet, ausgelegt und politisch diskutiert, und in Zweifelsfragen entscheiden die Gerichte, die Obergerichte und notfalls noch das Bundesverfassungsgericht. Und wenn man dann immer noch nicht Recht bekommen hat, dann wird man zum „Wutbürger“ und geht auf die Straße. Insofern darf und muss man in solchen Fällen den Demonstranten auch noch ein mangelndes Rechtsstaatverständnis attestieren.
Und die Politik? Statt den Mitgliedern der Bürgerinitiativen zu erklären, dass wir in Deutschland aus guten Gründen eine repräsentative Demokratie haben und dass es in einer solchen nun einmal Mehrheitsentscheidungen gibt und Gerichte und Obergerichte, die sie überprüfen, setzen sich einige Parteien und Politiker aus vordergründigen populistischen Motiven an die Spitze der Bewegung. Ganz schlimm ist es, wenn sie vorher im Parlament für die Pläne gestimmt haben und dann unter dem Druck der Straße zum Bedenkenträger werden. Stuttgart 21 lässt grüßen, aber bei der Demo des Vereins Berliner Vorstand zur Mangerstraße war es auch hier nicht anders.
Ein besonders negatives Beispiel ragt eine Partei, die sich seinerzeit aus der Bewegung gegen die Startbahn West gegründet hat, hervor Es gibt keine Bürgerinitiative, die sie nicht wohlwollend begleitet und politisch unterstützt. Bisher war sie ja auch nicht in der politischen Verantwortung! Oder wenn doch, dann nur als Juniorpartner. Man darf gespannt sein, wie sie jetzt ihrer politischen Verantwortung in Baden-Württemberg mit Stuttgart 21 gerecht werden will.
Aber es wäre zu einfach, Bürgerinitiativen nur mangelndes Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis zu unterstellen oder sie als egoistisch zu diffamieren. In einigen Fällen müssen wir ihnen auch dankbar sein. Wo wären wir ohne die Eisenhart-Eltern oder ohne Mitteschön? Und auch die Bürgerinitiative in Fahrland gegen das geplante Tierheim hat sich positiv davon unterschieden, denn sie hat einen Alternativvorschlag gemacht, der vernünftig klingt und nachdenkenswert ist.
Wie wäre es denn, wenn die Mitglieder der Bürgerinitiativen sich ´mal in der Politik engagierten? Da würden sie hautnah erleben, dass nahezu alle politischen Entscheidungen die Folge von Güterabwägungen sind und dass es nicht nur auf die Interessen einer Gruppe ankommt.
Das tun sie natürlich nicht! Das ist unter ihrer Würde, und schnell wird Goethe in Faust I zitiert: „Politisch Lied, ein garstig Lied!“ Politiker haben einen schlechten Ruf, und zu dieser Gruppe möchte man nicht gehören! Meckern ist einfach – aber sich einbringen?
Alle Parteien und Wählergruppen würden sich freuen, mehr engagierte Bürger in ihren Reihen zu haben. Aber dort, wo es um die Interessen aller Bürger bzw. die anderer Bürger geht, hält man sich fein zurück. Nur wenn es um die eigenen Interessen geht, ist man weit vorn!
Schade!