11. 5. 2022 Der AKüFi greift um sich
„Schreib mal wieder!“, war ein früherer Werbespot der Post. Denn die Deutschen verschickten immer weniger Briefe und Postkarten. Auf eine Weise, die sich niemand hat träumen lassen, ist der Wunsch in Erfüllung gegangen: Dank Facebook, Whattsapp, Telegram usw. wird heute mehr geschrieben denn je.
Wir tippen so viele Nachrichten in unsere Handys, dass längst eine Gegenbewegung eingesetzt hat: die Abkürzungswut oder – wie in der Überschrift – der Abkürzungsfimmel (AKüFi). Wer des überbordenden Schreibpensums Herr werden will, dem bleibt nichts übrig, als seine Zuflucht zu Kürzeln zu nehmen. Es gibt sie en masse: Von vll (vielleicht) über omg (O my God) und lol (laughing out loud) bis zu LG (Liebe Grüße), wenn nicht gar: GaLieGrü. Schreib mal wieder – kürz mal wieder ab!
Die praktischste Art, sich kurz auszudrücken, sind Emojis. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – auch mehr als tausend abgekürzte! Die lustigen Symbole, die kein Hehl daraus machen, dass sie ästhetisch wie intellektuell von den Comics stammen, sind inzwischen so zahlreich geworden, dass es schlechterdings nichts mehr gibt, das sich nicht mit ihnen ausdrücken ließe. Dies kommt vor allem denen entgegen, die mit Worten ihre Mühe haben: Wer sich schwertut, einen halbwegs klaren, von stilistischen Stolpereien freien Satz zu schreiben – also der rasch wachsende Teil der Bevölkerung - –, braucht nur einen Smiley zu setzen.
Die Menge der Emojis ist unüberschaubar. Bei Smileys etwa kann man schon lange zwischen mindestens zehn Hautfarben wählen, und auch so wichtige Symbole wie der geschlechtsneutrale Weihnachtsmann sind abrufbar. Hier tut sich allerdings ein Problem auf: Je mehr Emojis es gibt, desto mehr Zeit benötigt man, das genau passende auszuwählen; da lohnt es sich fast schon wieder, ein Wort zu schreiben.
Info, Demo, Doku, Kombi, Kita, Azubi, Multi, Promi … Allen Kurzwörtern dieser Art ist gemein, dass sie einen sprachlichen Entwicklungszyklus durchlaufen. Sie nehmen ihren Anfang auf der niedrigen Ebene und werden zunächst salopp und umgangssprachlich verwendet, dann gelingt es ihnen aufzusteigen. Das Wort „Promi“ etwa gehörte erst zum Jargon von Bild und Bunte, dann wurde es, auf dem Umweg über das Privatfernsehen, zum passenden Wort für jedermann und für jede Lage. Es steht jenseits der stilistischen Ebenen und ist klassenloses und bildungsunabhängiges Deutsch. Übrigens gab es „Promi“ schon im Dritten Reich; damals stand es für das Propagandaministerium.
Die Gendersprache macht es den Abkürzungsfreunden nicht leichter. Alles und jedes in zwei Geschlechterformen auszuschreiben, kostet Zeit und Platz, und damit widerspricht es der Grundtendenz. Zum Glück gibt es eine Lösung: Die „Kolleginnen und Kollegen“ werden zu „KuK“ zusammengezogen, und das Binnen-I und das Gendersternchen erledigen den Rest. So finden Abkürzungsdrang und Genderbewegtheit zur Synthese. Zwar liegt die sprachliche Hässlichkeit auf der Hand; doch wer Azubi oder lol sagt, für den spielt Schönheit ohnehin eine geringe Rolle, und die Genderaktivisten empfinden das Argument des sprachlichen Wohlklangs als hinterhältig und reaktionär. Moral geht vor Ästhetik.
„Flughafen BER“: Was bisher nur auf Tickets und auf den Anzeigetafeln in den Abflughallen zu lesen war, macht sich selbstständig und tritt unbekümmert ins Leben hinaus. Dabei fällt kaum auf, dass sich „BER“ länger und weniger leicht spricht als „Berlin“; was eine Abkürzung scheint, ist in Wahrheit eine Verlängerung.
Doch was soll’s, den Spaß muss man sich etwas kosten lassen.