24. 9. 2012 Stellungnahme der Potsdamer Demokraten zum Stadtentwicklungskonzept Verkehr
Stellungnahme der Fraktion Potsdamer Demokraten
Zu 1.2: Ziele für die zukünftige Verkehrsentwicklung
Oberstes Ziel… ist die Optimierung des Systems aller Verkehrsarten in Potsdam und die Verringerung der Umweltbelastung durch den motorisierten Individualverkehr.
Diese Zielstellung entspricht der Beschlusslage der SVV. Sie ist und bleibt grundsätzlich richtig und muss deshalb Richtschnur bei der Erarbeitung des Verkehrsentwicklungsplans sein.
Somit wird die zukünftige Verkehrsentwicklung der Stadt Potsdam im Wesentlichen von einer Änderung der Verkehrsmittelwahl (Modal Split) gekennzeichnet sein. Ein Ziel ist es, den MIV bis 2025 so zu reduzieren, dass die Einhaltung der Grenzwerte für Luftschadstoffe, die Vorsorge beim Lärmschutz und die Einhaltung des Klimaziels von 20% CO2-Reduzierung gewährleistet wird.
Das ist unrealistisch. Natürlich müssen die gesetzlichen Grenzwerte für Luftschadstoffe eingehalten werden. Dabei kann man aber nicht auf eine generelle Reduzierung des MIV setzen. Potsdam entwickelt sich. Es entstehen mehr Wohnungen, mehr Arbeitsplätze und eine attraktivere Innenstadt. Die Bevölkerungszahl wird gegenüber 2008 um 10% auf 167.000 Einwohner wachsen. In fast jedem der ca. 84.000 Haushalte ist statistisch gesehen ein privater PKW zugelassen. Tendenz: steigend. Das generiert a priori Verkehr. Eine Änderung des Modal Split kann man nicht verordnen. Es gilt die Wahlfreiheit der Verkehrsmittel durch die Bürgerinnen und Bürger. Erfahrungen zeigen, dass eine Veränderung des
Modal Split zugunsten umweltfreundlicher Verkehrsmittel ein zäher Prozess mit vergleichsweise bescheidenen Ergebnissen ist. So führt etwa die gegenwärtige Preisexplosion bei den Kraftstoffen zwar zu einem Aufschrei und zu sozialen Problemen – nicht aber zu einer spürbaren Veränderung des Modal Split.
Während eine Reduzierung des MIV um allenfalls 3% durch Verlagerung auf den ÖPNV machbar erscheint, dürfte eine weitere Verlagerung von 7% auf den Radverkehr reines Wunschdenken sein.
Insofern ist bis 2025 eine Steigerung des MIV unausweichlich. Damit muss sich das Stadtentwicklungskonzept Verkehr offensiv auseinandersetzen.
Zu 2.3 Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur und des Verkehrsangebots
Im Bereich ÖPNV wurde seit 2001 wesentlich mehr getan, als im StEK Verkehr angegeben:
- Redesign und Erneuerung des Rechnergestützten Betriebsleitsystems (RBL oder neuerdings itcs) für Busse und Bahnen des VIP und der HVG
- Neubau und Modernisierung des kombinierten Betriebshofs Wetzlarer Straße mit dem weltweit erstmaligen Einsatz einer neuen Generation von Betriebshofmanagementsystemen (BMS)
- Flächendeckende Dynamische Fahrgastinformation an den Haltestellen des ÖPNV
- Integrierte Leitstelle für alle Systeme beim VIP
Die Infrastruktur des ÖPNV Potsdam ist bereits beispielgebend. So folgten z.B. die Verkehrsbetriebe in Bern, Hannover, Hamburg und Nürnberg jüngst dem Potsdamer Vorbild.
Aufgrund des bereits erreichten hohen Niveaus des ÖPNV lassen sich weitere Fahrgastzuwächse nur noch in geringem Maße realisieren.
Im Bereich des Straßenverkehrs wurden bis Dezember 2011 die technischen Möglichkeiten zur Verflüssigung des Verkehrs (Grüne Wellen) bei weitem nicht ausgeschöpft. Damit bestand gegenüber dem ÖPNV Nachholbedarf, dem mit dem neuen Konzept der Umweltorientierten Verkehrssteuerung wirksam begegnet werden soll.
Zu 3.2 Untersuchung verschiedener Entwicklungsszenarien
Die Konzentration auf Maßnahmen einer nachhaltigen umwelt- und klimaschonenden Mobilität und die Förderung des Umweltverbundes (Szenario Nachhaltige Mobilität) erscheint grundsätzlich richtig. Allerdings muss mit restriktiven Maßnahmen zur Reduzierung des MIV sehr sorgsam umgegangen werden.
So ist kritisch zu hinterfragen, ob bei der Parkraumbewirtschaftung die Kosten + 100% anzusetzen sind. Dies führt zur Schädigung des Innenstadthandels und zur Verlagerung der Kaufkraft auf zentrumsferne Einkaufszentren, im negativsten Fall sogar in anderen Gemeinden. Darüber hinaus sind hohe Parkgebühren unsozial. Besserverdienern ist es egal, ob sie 1 oder 2 € fürs Kurzzeitparken am Straßenrand bezahlen. Für alle anderen sind solche Maßnahmen reine „Abzocke“ . Schwerpunkt sollte vielmehr auf ein intelligentes Parkraumbewirtschaftungskonzept Innenstadt gelegt werden, wobei der einfließende Autoverkehr möglichst reibungslos in zentrumsnahe Parkhäuser gelenkt wird. Ob die derzeit vorhandene Zahl der Parkhäuser den zukünftigen Bedarf decken kann, ist zu untersuchen.
Ebenso sind willkürlich eingesetzte Maßnahmen zur Entschleunigung des Fahrzeugverkehrs abzulehnen. Künstlich herbeigeführter Stau und unnötige Tempo-30-Zonen führen zur Erhöhung der Schadstoffemission und wirken der Erreichung der Klimaziele entgegen.
Die für 2025 angenommene Verteilung der Verkehrsmittelanteile ist nicht nachvollziehbar. So soll sich der MIV von derzeit 32% auf 23% reduzieren. Gleichzeitig soll sich der Radverkehr von 24% auf 30% steigern.
Dies ist auch logisch nicht nachvollziehbar. Die angegebenen Verkehrsmittelanteile beziehen sich ausschließlich auf den Binnenverkehr (S. 30). Der Binnenverkehr wird jedoch vom Quelle-Ziel-Verkehr (Pendler) überlagert. Der Potsdamer Luft ist es schließlich egal, ob sie von einem Potsdamer oder einem auswärtigen Fahrzeug belastet wird. So wäre an dieser Stelle ein zusammengefasstes Kreisdiagramm wünschenswert.
Überdies darf man bei einer Betrachtung der Potsdamer Verkehrsmittelanteile den gebrochenen Verkehr nicht außer Acht lassen. Beim Binnenverkehr ist dabei die Kombination MIV/Fußgängerverkehr von besonderer Bedeutung. Schließlich liegen die Ziele in der Innenstadt meist nicht an Stellen, die unmittelbar mit dem PKW erreicht werden können (und sollen). Beim Quelle-Ziel-Verkehr ist es notwendig, den Park & Ride-Anteil hervorzuheben und zu analysieren.
Wir sind der Auffassung, dass bei einer Optimierung der Verkehrssysteme der gebrochene Verkehr besonderes Augenmerk erfahren muss. Hierbei sind beachtliche Effekte im Sinne der Zielstellung zu erreichen.
Zu 4 Handlungsfelder Szenario Nachhaltige Mobilität
Den Maßnahmen Verkehrsreduzierende Raumstrukturen kann zugestimmt werden.
Der vorgesehene Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur (Strab-Netz) ist zwar grundsätzlich richtig und löblich. Allerdings sind die Einzelmaßnahmen noch sorgsam zu evaluieren.
So ist etwa die Verkehrsnachfrage zum Wissenschaftsstandort Golm exakt – auch im Tagesverlauf – zu ermitteln. Bei der Trassenführung dürfen Anwohnerbelange nicht außeracht gelassen werden.
Eine direkte Strab-Verbindung von Babelsberg zum Hauptbahnhof außerhalb der Schlaatz-Trasse ist zwar wünschenswert. Jedoch erscheint die Verlegung von Tramgleisen in der Großbeerenstraße als nicht machbar. Gebäudefluchten und enger Straßenquerschnitt sowie die bereits erfolgte Markierung von Radverkehrsflächen stehen dem entgegen. Der Tramverkehr würde zu einer zusätzlichen Staubildung des MIV führen, was aus Umwelt- und Gesundheitsgründen abzulehnen ist. Ebenso würde die Verkehrssicherheit darunter leiden.
Ein Highlight der Handlungsfelder ist offensichtlich das sich in der Einführung befindliche Umweltorientierte Verkehrsmanagement (UVM), womit vor allem in den Straßenabschnitten
- Behlertstraße
- Großbeerenstraße
- Zeppelinstraße und
- Breite Straße,
den sog. Hotspots, durch eine verkehrs- und umweltabhängige Steuerung der Lichtsignalanlagen der Zufluss so dosiert werden soll, dass auch in den Spitzenzeiten eine Verflüssigung des Verkehrs erreicht und ein Überschreiten von Schadstoffgrenzwerten vermieden werden kann.
Dieses Verfahren auch Pförtnerung zu nennen, war wenig klug, ist doch diese Bezeichnung vorwiegend negativ besetzt.
Mit dem UMV will die LH Potsdam deutschlandweit Neuland beschreiten und beispielgebend werden. Umso wichtiger ist es, dass die Einführung des neuen Systems auch tatsächlich von nachweisbaren Erfolgen gekennzeichnet wird.
Hier ergeben sich nach unseren anfänglichen Recherchen zumindest einige Fragezeichen. So werden vom Verkehrsrechnersystem neben den Messgrößen des Straßenverkehrs (Verkehrsstärke [Fzg/h] und Verkehrsgeschwindigkeit [km/h]), die einmal pro 90 Sekunden erhoben und ausgewertet werden, auch „Umweltmessdaten“ (Stickstoffdioxid [µg/m³]) in die Steuerung einbezogen. Hierbei handelt es sich aber nicht um Messwerte im eigentlichen Sinn. Messstationen in Potsdam befinden sich an nur 4 Standorten:
- Groß Glienicke
- Bassinplatz
- Zeppelinstraße
- Großbeerenstraße,
wobei sogar nur die beiden letztgenannten tatsächlich den Ausstoß der Kraftfahrzeuge messen.
NO2-Daten werden einmal pro 30 Minuten übermittelt. Sie werden im Immissions-Informationssystem immis gemeinsam mit den Messdaten der Verkehrsstärke ausgewertet und entsprechend eines Rauchfahnenmodells auf die einzelnen Bereiche des städtischen Straßennetzes modellhaft hochgerechnet. Aus immis werden bezogen auf die vier Hotspots einmal pro Stunde Daten übertragen, die unmittelbar Einfluss auf die Zuflussdosierung haben. Dies erscheint im steuerungstechnischen Sinne nicht sachgerecht. Erfolgt doch dabei eine Echtzeitsteuerung nach einer großräumigen „Wettervorhersage“, Messdaten und statistische Aussagen werden unzulässig vermischt.
Dies soll keine Kritik an immis sein. Bezweifelt wird lediglich die Nutzbarkeit seiner Daten für eine Echtzeitsteuerung. Auf jeden Fall sollte versucht werden, die Zeitnähe der immis-Daten zu verbessern. Sie sollten mindestens einmal pro 15 Minuten anhand der Messdaten aktualisiert und für die Steuerung bereitgestellt werden.
Negativbeispiel: Nuthestraße, 19.09.2012, 09.40 Uhr => Pförtnerung aktiv
Sonnig, 13°C, leicht böiger Wind (Kaiserwetter), schwacher
Verkehr
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Noch negativer ist es, wenn – wie im Fall der Nutheschnellstraße – die Kraftfahrzeuge wegen unnötiger Pförtnerungen vorher abbiegen und durch die Wohngebiete fahren.
Ebenso ist nach u.A. noch nicht ausreichend erwiesen, dass bei aktiver Pförtnerung eine tatsächliche Verflüssigung des Verkehrs in der Innenstadt erreicht wird.
Im Übrigen halten wir eine sorgfältige Auswertung des Probebetriebs des UVM gerade auch unter diesen Gesichtspunkten für unablässig.
Zu 4.5 Straßenverkehr
Mit den dort vorgeschlagenen Straßenbaumaßnahmen sind wir grundsätzlich einverstanden.
Es fehlen jedoch klare Aussagen zu:
· ISES
Wir halten den früher geplanten Bau der ISES für entbehrlich. Einerseits bringt die „Stummel-ISES“ nicht den erhofften Nutzen; die Weiterführung bis zur Zeppelinstraße ist den Anwohnern nicht zuzumuten und dürfte auf erhebliche Bürgerproteste stoßen. Andererseits wird die Zweispurigkeit der Breiten Straße, zu deren Entlastung die ISES vorgesehen war, nicht eingeschränkt, so dass die Notwendigkeit nicht mehr gegeben ist.
· Havelspange
Die Havelspange (Verbindung B1 – B2 in Höhe Pirschheide) halten wir für notwendig. Der Pendlerstrom von Potsdam in die westlichen Gemeinden und zurück ist enorm, wie die Verkehrszählungen zeigen. Sobald eine Störung auf der Zeppelinstraße oder gar auf der Langen Brücke eintritt, entsteht ein erheblicher Stau, der teilweise von der Langen Brücke bis zur Kastanienallee zurückreicht. Um diesen Problemen zu begegnen und die Verkehrsbelastung der Zeppelinstraße nachhaltig zu senken, ist die Havelspange unentbehrlich, auch wenn zur Zeit eine Verlängerung bis Golm bzw. bis zur Wetzlarer Straße politisch nicht durchsetzbar sein dürfte. Zumindest aber wird ein Teil der Fahrzeugführer, der Ziele auf der südlichen Seite der Havel erreichen will, hier bereits die Havel queren und über die B 2 weiterfahren.
· Schopenhauerstraße
Die Sperrung der Schopenhauerstraße zwischen Luisenplatz und Charlottenstraße ist eine der wesentlichen Ursachen für die Verkehrsbelastung der Zeppelinstraße zwischen Luisenplatz und Breite Straße. Dadurch sind letztlich für die Anwohner der Zeppelinstraße und der Breiten Straße unzumutbare Lärm- und Abgasemissionen in den Verkehrsspitzen entstanden, so dass zumindest über eine temporäre Öffnung zur Rush-Hour nachgedacht werden sollte.
Die Potsdamer Demokraten befürworten eine solche Lösung.
Zu 7 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Der vorgenommenen Zusammenfassung kann unter Beachtung vorstehender Anmerkungen im Wesentlichen gefolgt werden. Bei genauem Lesen wird deutlich, dass auch beim Szenario Nachhaltige Mobilität bis 2025 mit einem Wachstum des MIV (Gesamtverkehr) gerechnet wird (was ohnehin auf der Hand liegt). Prognosen der Modal Split Verschiebung beziehen sich nur auf den Binnenverkehr in Potsdam und geben kein vollständiges Bild. Betroffenen Hotspot-Anwohnern ist es egal, ob ein Binnenverkehrsfahrzeug oder ein Pendlerfahrzeug Schadstoffe emittiert.
Zu 8 Grundlagen für ein Kreisverkehrskonzept
Hier entsteht der Eindruck, dass mit Eifer gesucht wird, wo Kreisverkehrsanlagen den geringsten Schaden anrichten können. So ist z.B. aus der untersuchten Umgestaltung des Kirchsteigfeldknotens nicht ersichtlich, welcher Nutzen aus den hohen Aufwendungen entsteht. Hier werden an Stellen Lösungen angeboten, die bislang keine Probleme verursachten.
Im Übrigen sind Mini-Kreisverkehrsanlagen, wie etwa an der Drewitzer Auffahrt zur Nuthestraße, grundsätzlich abzulehnen. Solche Kreisel werden von vielen Verkehrsteilnehmern gar nicht als solche wahrgenommen und folglich ignoriert. Busse und LKW fahren ohnehin mittendurch.
FAZIT
Das Stadtentwicklungskonzept Verkehr ist in seiner jetzigen Form nicht beschlussfähig. Eine Qualifizierung ist dringend erforderlich. Dabei sind sowohl die Ergebnisse der öffentlichen Beteiligung als auch die abgegebenen Stellungnahmen von Einrichtungen und Verbänden sowie die vorgenannten Hinweise zu berücksichtigen.