7. 2. 2023 Unser viel zu großer Bundestag
In der Bundesrepublik werden bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag 299 Abgeordnete in den Wahlkreisen direkt gewählt. Die anderen 299 Abgeordneten werden über die Landeslisten gewählt und entsprechen dem prozentualen Anteil der Parteien am Wahlergebnis. Hat nun eine Partei in einem Bundesland weniger gewählte Direktkandidaten, als ihr nach dem prozentualen Ergebnis zustehen, rücken über die Landesliste andere Kandidaten nach.
So weit, so klar. Kritisch wird es dort, wo mehr Direktkandidaten einer Partei gewählt worden sind, als ihr nach ihrem prozentualen Ergebnis zuständen. Hier kommt es dann zu den sogenannten Überhangmandaten, da man den direkt Gewählten den Wahlsieg – bisher - nicht nehmen kann.
Diese geringe Unschärfe nahm man bis 2013 in Kauf.
Größter Nutznießer dieser Überhangregelung war die CSU, die z. B. bei der Wahl 2021 elf Überhangmandate erreichte, da alle ihrer Kandidaten - bis auf einen - ihren Wahlkreis direkt holten. Sie erreichte deshalb 45 Abgeordnete, obwohl ihr mit 31,7 Prozent der Stimmen nur 34 Mandate zugestanden hätten. Also führte man schon 2013 die sogenannten Ausgleichsmandate ein, wonach auch die anderen Parteien so viele zusätzliche Mandate bekamen, bis die Relation zwischen den Parteien wieder stimmte.
Aber nicht nur die CSU, auch die anderen Parteien erreichten in manchen Ländern Überhangmandate. So gab es 2021 insgesamt 34 Überhangmandate, die zu 104 Ausgleichsmandaten führten.
Deshalb sitzen im aktuellen Bundestag 736 statt 598 Mandatsträger.
Kein Wunder, dass man das Wahlrecht verändern möchte. Der Bundestag soll wieder auf die im Wahlgesetz vorgesehene reguläre Größe von 598 MdB verkleinert werden. Allerdings will das die Koalition mit einer Entwertung des Direktmandats erreichen. Danach sollen den Parteien auf Grund der jeweiligen Zweitstimmenanteile die Sitze zugeteilt werden – wie bisher. Aber wer im Wahlkreis die meisten Stimmen erhalten hat, nach landläufiger Ansicht bisher ein direktgewählter Abgeordneter, kommt nicht mehr automatisch nach Berlin. Um das am Beispiel der CSU zu verdeutlichen: Auf der Basis des Wahlergebnisses von 2021 wären elf CSU-Wahlkreissieger mit Überhangmandat leer ausgegangen, nämlich die mit den prozentual schlechtesten Erststimmenergebnissen. Das hätte fast ausschließlich Wahlkreissieger aus bayerischen Städten mit Erststimmenanteilen von 25,7 bis 35,1 Prozent getroffen. Diese Wahlkreise sind wegen des hohen Anteils von Grünen-Wählern besonders umkämpft.
Den CSU-Wählern in München, Nürnberg, Augsburg, Erlangen oder Fürth zu erklären, dass ihr Abgeordneter zwar den Wahlkreis gewonnen hat, aber dennoch ein Verlierer ist, dürfte schwer werden. Noch unverständlicher wird es allerdings, wenn dieselben Wähler dann in der Zeitung lesen müssen, dass der FDP-Kandidat mit 6 Prozent Erststimmen oder der Linke-Kandidat mit 4 Prozent Erststimmen künftig in Berlin sitzen darf, weil er auf den Landeslisten ihrer Parteien gut platziert war. Darf sich dann so mancher Wähler verschaukelt vorkommen?
Grüne und FDP sind von Überhangmandaten weit entfernt. Doch auch bei der SPD mit zehn Überhangmandaten müssten einige Abgeordnete um ihr Mandat bangen, die sich in Großstadtwahlkreisen mit Ergebnissen von gut 20 oder knapp 30 Prozent durchgesetzt haben.
Dessen ungeachtet eint die Ampel-Parteien der Wille, die Wahlrechtsreform zu nutzen, um in erster Linie die CSU, wenn schon nicht klein, dann doch kleiner zu kriegen. Das hat auch eine Schwächung der CDU zur Folge, bilden CDU und CSU doch eine gemeinsame Fraktion im Bundestag. Insofern ist zu erwarten, dass die Unionsparteien den Gang nach Karlsruhe antreten werden, falls die Ampel ihre Anti-CSU-Reform im Bundestag in den nächsten Monaten wie geplant durchpaukt.
Die Ampel will allerdings weiterhin zulassen, dass auch unabhängige Kandidaten in den Bundestag einziehen, wenn sie die meisten Stimmen im Wahlkreis erhalten. Da soll es dann keine Rolle mehr spielen, ob der unabhängige Wahlkreissieger 43 Prozent erhält oder nur 23. Die CSU könnte also das Bestreben der Ampel konterkarieren, indem sie in bestimmten Wahlkreisen keinen Direktkandidaten aufstellt. Vielmehr könnten die CSU-Bewerber als Unabhängige antreten – im Wahlkampf von ihrer CSU kräftig unterstützt. Mit anderen Worten: Die CSU könnte den Versuch der Ampel, sie per Wahlrecht zu minimieren, aushebeln. Das könnte ebenso ein Rezept für die CDU in Baden-Württemberg sein, wo sie nach dem Willen der Ampel gleich zwölf Mandate verlieren soll.
Hoffen wir, dass die Karlsruher Richter eine gerechte Entscheidung treffen werden. Wie heißt es doch so schön im rot-gelb-grünen Koalitionsvertrag: „Wir wollen durch mehr Transparenz unsere Demokratie stärken.“ Beim Ampel-Wahlrecht geh es dagegen eher um Verdunkelung – und um Verschiebungen zugunsten von Rot-Grün-Gelb.