11. 12. 2022 Anne Will und die Razzia bei den Reichsbürgern

Sechzig Minuten dauert eine Sendung von und mit Anne Will. Für diese Stunde hatte sie mit ihrer Redaktion am vergangenen Sonntag nur Gäste eingeladen, die mit der ebenfalls eingeladenen Innenministerin Faeser (und natürlich mit Will selbst) übereinstimmten. Offensichtlich ist für die ARD Meinungsvielfalt gegeben, wenn sechs Personen zwar das Gleiche, aber mit unterschiedlichen Worten ausdrücken.
 
Da war Janine Wissler. Sie hat elf Jahre Politikwissenschaft studiert, steht den Linken vor und führt sie zielstrebig unter die Fünf-Prozent-Hürde. Ohne die Direktmandate aus der vergangenen Skandalwahl in Berlin säßen die Linken schon heute nicht mehr im Bundestag.

Dazu kam Faesers Vor-Vorgänger Gerhart Baum, der vor 40 Jahren abgewählt wurde. Er ist der Traumgast alleer Talkshows in ARD und ZDF, weil er wie ein Grünlinker argumentiert, aber in der Statistik als FDP-Politiker geführt werden kann. Bei Will zeigte sich Baum am Puls der Zeit: Es seien unterschiedliche Öffentlichkeiten im Internet entstanden, denen müsse man sich ´mal widmen.
 
Eigentliches Thema war die Razzia gegen die Reichsbürger, ein Medienmysterium. Denn schon kurz nach dem Einsatz verfügten einzelne Medien wie der SPIEGEL – und mit ihm Anne Will - über erstaunlich viele Hintergrundinformationen. Noch schlimmer: Wie sich herausstellte, hat die verantwortliche Staatsanwaltschaft ausgesuchten Journalisten bereits vor dem Einsatztag Einzelheiten der Aktion zukommen lassen. Kein Wunder, dass dann doch irgendetwas durchsickerte, aber das Leck suchte die bei Will vereinte Journaille nicht bei sich, sondern bei der Polizei.
 
Die Will´sche Runde war sich erwartungsgemäß einig, doch sprachlich kreativ in den Umschreibungen der Fakten der Razzia, zu denen sie sich so deutlich nicht bekennen wollte oder konnte: „Man sieht konkrete Ideen“, sagt der Journalist Florian Flade, der in der ARD unter Einsatz von Rundfunkgebühren mit der privaten Süddeutschen Zeitung zusammenarbeitet. „Die Reichsbürger, das sind Leute, die gehen nicht mehr zur Wahl, die wählen AfD“, umschrieb Baum ebenso blumenreich wie widersprüchlich sein Statement. Und Wissler sagt, es sei „dringend notwendig, Reichsbürger ernst zu nehmen“.
 
Die schönste Umschreibung kam von der Innenministerin selbst. „Es war ernst zu nehmen, sonst hätte der Generalbundesanwalt nicht 52 Objekte untersucht und 25 Haftbefehle vollstreckt.“ Mit anderen Worten: Dass der Einsatz durchgeführt wurde, rechtfertigt den Einsatz.
 
Stattdessen bekam Faeser von Will die Chance, eine Kommunikationspanne zu beheben. Bei Sandra Maischberger hatte die Ministerin am Mittwoch vergangener Woche offen gesagt, Mitarbeiter könnten künftig auf Verdacht aus dem öffentlichen Dienst entlassen werden. Um die Entlassung rückgängig zu machen, müssten sie beweisen, dass sie staatstreu seien. Juristen nennen das Beweislastumkehr. Manche Journalisten schreiben vom Ende der Unschuldsvermutung – allerdings nicht die von der ARD oder der Süddeutschen Zeitung.
So habe sie das nicht gemeint, korrigierte sich Faeser bei Will: „Ich will nicht die Beweislast umkehren.“ Sie wolle das Disziplinarrecht „neu aufstellen“. Die Entlassung aus dem Dienst solle nicht mehr über ein Verwaltungsgerichtsverfahren laufen, sondern über einen Verwaltungsakt. Das heißt, die Behörde entscheidet selbst, ob der Mitarbeiter verfassungsuntreu genug ist, um gefeuert werden zu können. Der kann dann immer noch vors Gericht ziehen. Dort hat er dann, zu beweisen, dass er verfassungstreu ist – aber eine Beweislastumkehr sei das nicht.
 
Über den SPIEGEL vom Mittwoch ging Will nur in einer Frage hinaus: Warum so viele Journalisten beim Einsatz vor Ort waren. Ob sie vorher von der Generalbundesanwaltschaft informiert wurden, will sie wissen, und ob das Ganze dann nicht doch einer Inszenierung gleiche. „Gewollt“ sei es „mit Sicherheit nicht gewesen“, dass die Journalisten vorab zum Polizeieinsatz eingeladen wurden, behauptete Faeser. „Ob vorher informiert wurde seitens der Sicherheitsbehörden, muss man aufklären“, kündigte Faeser an und hatte so schnell den Schwarzen Peter bei der Polizei platziert.
 
Wissen und sagen könnte es der Journalist Florian Flade. Schließlich wusste er bereits vor dem Einsatz davon. Doch der ARD-SZ-Mann war lange genug mit Politikern zusammen, um nicht in journalistische Klarheit zu verfallen, sondern sich im schönsten Kauderwelsch um die konkrete Antwort zu drücken: „Wir sind nicht von einer Behörde oder einem Ministerium eingebunden worden“, sagt er noch recht deutlich. Doch wenn es um das „Sondern“ geht, wird Flade amüsant: „Durch Recherchen und Kontakte“ statt von einer Behörde oder einem Ministerium sei er informiert worden.
 
Nein, hier soll keine Sympathie für die Reichsbürger ausgedrückt werden. Aber auch sie haben ein Recht darauf, gesetzeskonform und unter Wahrung ihrer Persönlichkeit behandelt zu werden. Wenn das bei ihnen nicht mehr stattfindet, kann es morgen jeden treffen!
 
Warten wir ´mal ab, was bei den Strafverfahren herauskommt. Hoffentlich mehr als seinerzeit bei den "Hetzjagden" durch Rechte in Chemnitz, deren Ermittlungen im Sande verliefen!.