19. 09. 2019 Berliner Landgericht: Renate Künast muss sich überzogene Kritik gefallen lassen

Können Sie sich noch an Jan Böhmermann erinnern, den Comedian, der 2016 in einem sogenannten Schmähgedicht den türkischen Staatspräsidenten als „Ziegenficker“ und Schlimmeres bezeichnet hatte und mit klammheimlicher Freude auch der Bundesregierung vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen worden war?

Zugegeben, Erdogan mit seiner rückwärtsgewandten Politik, die aus der fortschrittlichen Türkei einen halb-muslimischen Staat machen will, hat in Deutschland wenig Sympathie. Aber sich dergestalt beleidigen zu lassen, ist eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig – was übrigens auch für den US-Präsidenten Trump gilt, der unisono von den Leitmedien nur mit unvorteilhaften Bildern und entsprechenden Berichten dargestellt wird.

Jetzt hat es eine der ihren getroffen, nämlich Renate Künast. Und schon gibt es in allen Medien einen Aufschrei der Empörung. Zu Recht, denn auch bei aller Kritik an Künast muss man die Regeln eines geordneten Miteinanders einhalten. Dabei ist die Ehre eines Politikers genauso viel wert wie die eines „Normalbürgers“, auch wenn man politisch nicht auf der Linie von Frau Künast liegt.

Was war geschehen? Im Internet gab es 22 Kommentare als Reaktion auf einen mittlerweile gelöschten Post des Netzaktivisten Sven Liebich vom 27. März 2019, die Frau Künast deutlich unterhalb der Gürtellinie beleidigten.

Doch laut eines Beschlusses des Berliner Landgerichts handelt es sich in allen 22 Fällen nicht um Beleidigungen sondern um „zulässige Meinungsäußerungen“. „Von einer Schmähung kann nicht ausgegangen werden, wenn die Äußerungen im Kontext einer Sachauseinandersetzung steht“, heißt es. Und genau das liegt nach Auffassung der Richter hier vor.

Beleidigungen sind strafbar. Im Fall der grünen Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast scheint das aber wie bei Erdogan nicht zu gelten. Zumindest wenn man der Auffassung des Berliner Landgerichts folgt. Denn das entschied am 9. September 2019: „Der Kommentar ,Drecks Fotze‘ bewegt sich haarscharf an der Grenze des von der Antragsstellerin noch Hinnehmbaren“ (Az: 27 AR 17/19). So wurde Künast im Frühjahr öffentlich auf Facebook betitelt. Ihr Anwalt Severin Riemenschneider ist nach der Gerichtsentscheidung fassungslos. „Für mich ist das eine klare Formalbeleidigung“, sagte er der Berliner Morgenpost.

Vor diesem Hintergrund kam das Landgericht zu folgender Auffassung: Da sich Künasts Zwischenruf ebenfalls im sexuellen Bereich befinde und erhebliches Empörungspotenzial berge, „ist die Kammer der Ansicht, dass die Antragsstellerin als Politikerin sich auch sehr weit überzogene Kritik gefallen lassen muss“. Äußerungen wie „Knatter sie doch mal so richtig durch, bis sie wieder normal wird“ wurde als „mit dem Stilmittel der Polemik geäußerte Kritik“ gewertet. Die Unterstellung, dass Künast „vielleicht als Kind ein wenig zu viel gef...“ wurde, ist laut Beschluss „überspitzt, aber nicht unzulässig“. Die Forderung, sie als „Sondermüll“ zu entsorgen, habe „Sachbezug“. Attribute wie „Stück Scheiße“, „Schlampe“ sowie „Geisteskranke“ wurden als „Auseinandersetzung in der Sache“ gewertet.

Das Berliner Landgericht wollte sich zu dem Beschluss nicht äußern. Es hat aber – wie alle Gerichte in Deutschland – „im Namen des Volkes“ geurteilt.

In meinem Namen nicht, denn eine derartige Verrohung der Sitten und des Umgangs miteinander darf nicht hingenommen werden. Dem hat das Landegericht Berlin keinen Gefallen getan!

Bleibt zu hoffen, dass die Justiz sich in der nächsten Instanz korrigiert, die der Rechtsanwalt von Frau Künast anrufen will.