2. 2. 2018 Die Diskussion um den kostenlosen Nahverkehr ist schlichtweg populistisch

Die Forderung nach einem kostenlosen ÖPNV geistert immer wieder durch die Kommunalpolitik. Insbesondere die Grünen, aber auch andere Fraktionen gehen von falschen Schlussfolgerungen aus und sind sachlichen Argumenten kaum zugänglich.
Wir Potsdamer Demokraten haben uns regelmäßig dafür ausgesprochen, dass die Nutzer des ÖPNV ihren Beitrag zur Finanzierung leisten sollen, ähnlich wie die Besucher des Theaters oder des Hallenbades.  Die einen bezahlen den Eintritt, die anderen das Ticket. Die Gesamtkosten aus Steuergeldern zu übernehmen, so dass zur Finanzierung jeder Steuerzahler herangezogejn wird, egal ob er und wie oft er den ÖPNV nutzt, ist ist eine mehr als ungerechte Gleichmacherei. Dass dadurch der motorisierte Individualverkehr abnimmt und damit die Umwelt weniger belastet, gehört in den Bereich der Wunschvorstellungen, wie weiter unten zu lessen seinw ird.

Zur Versachlichung der Diskussion soll  an dieser Stelle ein Aufsatz unseres Verkehrsingenieurs Dr, Wilfried Naumann veröffentlicht werden, der sich mit diesem Ansinnen auseinandergesetzt hat.
 

„Eigentlich klingt es doch ganz vernünftig: Bei einem kostenlosen Nahverkehr lassen viele
Menschen ihr Auto immer öfter stehen und nutzen dafür die öffentlichen Verkehrsmittelund schonen so die Umwelt. Fehlende Fahrgelderlöse lassen sich ggf. durch eine moderateBürgerabgabe kompensieren.

Verständlicherweise findet ein solcher Vorstoß in großen Teilen der Bevölkerung Sympathieund Unterstützung.

Tatsächlich gibt es und kann es keinen kostenlosen ÖPNV geben. ÖPNV kostet immer Geld. Gemeint ist offensichtlich ticketfreier Nahverkehr. Dabei besteht aber eine ernstzunehmende Gefahr, dass damit genau das Gegenteil des Gewollten - nämlich eine nachhaltige Schädigung und Destabilisierung der öffentlichen Nahverkehrssysteme sowie eine zusätzliche Belastung der Umwelt - bewirkt wird. Warum dies so ist, soll anhand von vier Gesichtspunkten
erläutert werden.

 

1.      Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg GmbH

Der VBB ist ein politisch gewollter Zusammenschluss aller ÖPNV-Aufgabenträger der LänderBerlin und Brandenburg. Er hat die Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Seine Gesellschafter sind Berlin und Brandenburg zu je einem Drittel sowie die Landkreise und kreisfreien Städte im Land Brandenburg mit je 1,85 % des Stammkapitals. Damit ist die Landeshauptstadt Potsdam zwar einer der Anteilseigner, ihre Möglichkeiten Änderungen des Gesellschaftsvertrags herbeizuführen, aber eher marginal. Der VBB wurde am 30. Dezember 1996 gegründet, der gemeinsame Tarif für alle Mitgliedsregionen und -städte zum 1. April 1999 eingeführt.

Sämtliche in der Landeshauptstadt Potsdam agierenden Verkehrsunternehmen haben alsVerbundverkehrsunternehmen Kooperationsverträge mit dem VBB abgeschlossen:

• regiobus Potsdam Mittelmark GmbH

• Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH

• S-Bahn Berlin GmbH

• DB Regio AG

• Berliner Verkehrs Gesellschaft AöR

Darin verpflichten sie sich, auf ihren öffentlichen Linien den Verbundtarif sowie die gemeinsamen Tarifbestimmungen und die besonderen Beförderungsbedingungen des Verbundes sowie den Einnahmeaufteilungsvertrag anzuwenden und einzuhalten.

Fazit; Allein der ViP als städtisches Unternehmen könnte mit Beschluss der Stadtverordneten beauflagt werden, den Kooperationsvertrag mit dem VBB zu kündigen oder zu ändern und
seine Leistungen ticketfrei anzubieten. Ob dies rechtlich durchsetzbar ist, bleibt fraglich.

Da die anderen Verkehrsunternehmen sich nicht beteiligen werden, könnte es einen ticketfreien ÖPNV in Potsdam möglicherweise nur auf den ViP-linien geben.

Fazit: Dieses Durcheinander ist wohl insbesondere den Touristen kaum zu vermitteln. Aber auch für die vielen Potsdamerinnen und Potsdamer, die auf ihrem Fahrweg umsteigen müssen,
verpufft der Effekt eines ticketfreien Nahverkehrs.

 

2.      Kosten

Bisher werden in Potsdam wie überall in Deutschland die hohen Kosten für Infrastruktur,
Fahrzeuge und Betrieb durch die seit vielen Jahren bewährte Zwei-Säulen-Finanzierung des ÖPNV bestritten:

• Reglementierte Zuschüsse durch Bund, Land und Kommune

• Erlöse aus Fahrausweisverkäufen

Bei den Landeszuschüssen ist bereits eine deutliche Reduzierung bereitstehender Mittel zu
beobachten. So gibt es anstelle der früheren projektbezogenen Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen (GVFG) zukünftig nur eine jährliche Pauschalzuweisung in Höhe von 5 Mioi, die sich sämtliche brandenburgischen Städte mit Tram-Netzen teilen müssen. Für Potsdam bleibt da nicht viel übrig.

Die Einführung eines ticketfreien ÖPNV würde überdies dazu führen, dass bisherige Erstattungs-und Ausgleichszahlungen etwa nach §45a PBefG und §62 SchwG entfallen könnten.
Denn warum soll das Land Fahrkosten für Schüler, Studenten oder Bedürftige bezuschussen,
die ja genau wie jeder andere Bürger ohnehin kostenfrei fahren können

Die wegfallende Bezuschussung müsste damit zusätzlich zu den wegfallenden Erlösen in
Höhe von etwa 17,6 Mio€ Netto aus den Fahrausweisverkäufen durch die LHP kompensiert
werden. Hinzu kommen Ausgleichszahlungen an die anderen Verbundverkehrsunternehmen
gemäß den Vereinbarungen des Einnahmeaufteilungsvertrags.

Darüber hinaus haben Berliner, Bewohner des Umlands und Touristen in Potsdam freie
Fahrt. Auch diese nicht unerheblichen Kosten tragen ebenfalls die Potsdamer Steuerzahler.

Fazit: Die wahrscheinlich einzig machbare Lösung für einen für die Bürgerinnen und Bürger
kostenfreien Nahverkehr wäre die Ausgabe eines Bürgertickets an alle Potsdamer. Dabei
würde es sich gemäß Tarifordnung des VBB um ein Jahresabo Potsdam AB handeln. Dies
kostet derzeit ca. 410 €. Bei angenommenen 150.000 Tickets hätte die LHPjeweils am 1. Januar
61,S Mio€ an den VBB zu überweisen. Dort würde dieser Betrag gemäß Einnahmeaufteilungsvertrag auf die 5 in Potsdam agierenden Verkehrsunternehmen aufgeteilt.

Die Potsdamerinnen und Potsdamer müssten unabhängig von ihrer individuellen Nutzung
für die Gesamtkosten des ÖPNV aufkommen sowie wegfallende Zuschüsse aus dem allgemeinen Steueraufkommen ausgleichen.

 

3.      Umweltbelastung und Modal Split

Die Fürsprecher eines ticketfreien Nahverkehrs gehen davon aus, dass sich damit der Modal Split, also das Verhältnis der Nutzung der einzelnen Verkehrsarten zum Gesamtverkehr zugunsten des ÖPNV signifikant verändern wird. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen
(VDV) schätzt ein, dass bei einem ticketfreien ÖPNV die Fahrgastzahlen um 30 % ansteigen
werden.

Für den ViP bedeutet dies ein Anwachsen der jährlichen Fahrgastzahl von derzeit 31 Mio auf
38 Mio. Nutzer.

Diese Zuwächse entstehen aber insbesondere durch zusätzlichen (unnötigen) Verkehr und
durch Verlagerung von Fußgänger- und Radverkehr hin zum ÖPNV.
Damit ändert sich der Modal Split vor allem innerhalb der Verkehrsarten des Umweltverbundes. Anstelle der Nutzung der umweltneutralen Verkehrsarten erfolgt eine verstärkte Nutzung
des umweltbelastenden ÖPNV.

Überdies erfordert ein derartiges Wachstum des ÖPNV auch mehr Fahrzeuge und mehr Personal für den Verkehrseinsatz sowie eine erweiterte Infrastruktur, was wiederum hohe Kosten
und zusätzliche Umweltbelastungen nach sich zieht. Schon jetzt sind die Verkehrsmittel
des ViP in den Spitzenzeiten bis an die Kapazitätsgrenze ausgelastet.

Überschlägig kann davon ausgegangen werden, dass etwa 4 Straßenbahnfahrzeuge und 5
Omnibusse zusätzlich benötigt werden würden. Das bedeutet Investitionskosten in Höhe von
etwa 12,7 Mio€ zuzüglich der damit verbundenen Personal- und Betriebskosten. All dies
müssten die Landeshauptstadt und ihre Bürgerinnen und Bürger als reine Zusatzkosten für
einen ticketfreien Nahverkehr stemmen.

Es ist nicht damit zu rechnen, dass wegen des "kostenlosen" Nahverkehrs die Nutzung privater
PKW signifikant abnimmt. Nur die wenigsten Verkehrsteilnehmer sind hinsichtlich der
Verkehrsart wirklich wahlfrei. Individuelle Entscheidungsprozesse werden meist von der Erreichbarkeit der Zielorte, von den wirtschaftlichen und familiären Verhältnissen aber auch
von ausgeprägten persönlichen Präferenzen dominiert. Deshalb bilden vorrangig Maßnahmen
zur spürbaren Erhöhung der Leistungsfähigkeit und zur Verbesserung des Angebots
echte Anreize zum gewollten Umsteigen vom Auto auf den ÖPNV.

Fazit: Ein ticketfreier Nahverkehr führt nicht automatisch zu einer Verringerung der Umweltbelastung.

 

 4.     Ausschreibungspflicht öffentlicher Verkehrsleistungen

EU-Gesetze und ihre Umsetzung in nationales Recht betreffen auch und in besonderem
Maße den ÖPNV. SOist bei der Vergabe von Konzessionen für öffentliche Verkehrsleistungen
durch die Aufgabenträger grundsätzlich ein freier Wettbewerb zu ermöglichen.
Dies konnte in Potsdam bislang verhindert werden. Eine direkte Vergabe an den kommunalen
Eigenbetrieb ViP war aufgrund bestehender gesetzlicher Regelungen gestattet bzw. geduldet.

Der Verkehrsbetrieb wurde hierzu in die Stadtwerke integriert. Damit können gleichzeitig im
Rahmen einer Konzernbilanz Betriebskostendefizite des Verkehrs mit Gewinnen vor Steuer
aus der Energieversorgung "querfinanziert" werden .

Möglicherweise müsste ein Verkehrsunternehmen, welches sich allein aus Steuern und Abgaben
finanziert, zukünftig aus den Stadtwerken ausgelagert und als Dienstleistungsbehörde
angesehen werden. Eine Querfinanzierung von Betriebskostendefiziten wäre damit u.U.
nicht mehr möglich. Die resultierende weitere Finanzierungslücke betrüge etwa 8 Mio€ p.a .

Auch ist die Frage der Ausschreibung der Verkehrsleistung neu zu bewerten. Hier besteht
eine nicht unbegründete Gefahr, dass unser ViP beispielsweise von ausländischen Unternehmen
- etwa aus Frankreich oder China - aus dem Rennen geworfen wird. Da aber lediglich
die Verkehrsleistung nicht aber die vorhandene Infrastruktur ausgeschrieben würde, müsste ein neues und zusätzliches kommunales Unternehmen TramNetz geschaffen werden. Eine
Trennung von Netz und Betrieb hat sich aber nirgendwo bewährt. Bestes Beispiel ist die
Deutsche Bahn. Dort ist die Trennung wegen eines zeitweise angestrebten Börsenganges
erfolgt. Nun weisen sich bei Betriebsstörungen und Verspätungen die Unternehmen gegenseitig
die Schuld zu.

Fazit: Ein ticketfreier Nahverkehr kann mittelfristig den Fortbestand unseres ViP als ein erfolgreiches kommunales Unternehmen gefährden und zum Versiegen bewährter Finanzierungsbausteine und zu weiteren Unwägbarkeiten führen.

 Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die Einführung eines ticketfreien Nahverkehrs in
der Landeshauptstadt Potsdam enorme Risiken und Nachteile mit sich bringt.“
(Dr. Ing. Wilfried Naumann)

Alle diese Fakten sind den Befürwortern des ticketfreien ÖPNV bekannt. Denn zu öft ist schon in der Stadtverordnetenversammlung, in den Ausschüssen und in Arbeitsgruppe darüber diskutiert worden. Gleichwohl wird immer wieder – offensichtlich wider besseres Wissen – diese Forderung erhoben, um bei schlichten Gemütern Eindruck zu schinden und sich selbst mit dem Ruf eines fortschrittlichen und  sozialen Querdenkers zu beweihräuchern.

So etwas nennt man „populistisch“!