23. 10. 2017 Was ist aus unserer Meinungsfreiheit geworden, auf die wir so stolz waren?

Wieder einmal traf sich am Sonntag, dem 21. 10. 2017, in der Reithalle des HOT ein interessiertes Publikum, um Aktuelles von der Frankfurter Buchmesse zu erfahren, vor allem welche Bücher zur Zeit „in“ sind. Ein Ritual, das mit der Kabarettistin Gretel Schulze und dem Buchhändler Carsten Wist unter der Moderation von Dr. Oliver Geldener zum 16. Mal nach jeder Buchmesse in Leipzig oder Frankfurt/Main stattfand.

Nur schade, dass der Anlass, nämlich die Frankfurter Buchmesse, so unangenehme Begleiterscheinungen aufgewiesen hatte. Was war passiert? Unter den rund 7.150 Ausstellern der Buchmesse befanden sich in diesem Jahr auch der rechte Antaios-Verlag, der zeitgeistkritische Verlag Manuscriptum und die national-konservative "Junge Freiheit". In einer pluralistischen Gesellschaft eigentlich eine Selbstverständlichkeit – sollte man meinen. Denn eine Messe ist keine Zensurbehörde, solange kein offensichtlich verfassungsfeindliches oder sonstwie rechtswidriges Schrifttum feilgeboten wird.

Aber es kam alles anders. Es begann damit, dass die Messeleitung für ihre Entscheidung, Antaios zur Messe zuzulassen, heftig kritisiert wurde, etwa vom Frankfurter Bürgermeister Peter Feldmann (SPD). Jürgen Boos, Direktor der Messe, und Alexander Skipsis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, reagierten zunächst angemessen und verwiesen darauf, dass Meinungsfreiheit für alle gilt.

Damit hätte die Sache eigentlich erledigt sein können und müssen. Doch dann rief Skipsis, unter anderen auf der Homepage des Börsenvereins, dazu auf, sich „mit der Präsenz dieser Verlage auseinander zu setzen“ und „sich kritisch gegenüber den Botschaften dieser Verlage zu äußern“. Denn: Meinungsfreiheit heiße auch Haltung zeigen. Konsequenterweise demonstrierten Mitarbeiter des Börsenvereins am ersten Messetag vor dem Stand des Antaios-Verlages für „Freiheit und Vielfalt“.

Die (un-)sinnige Botschaft war klar: Meinungsfreiheit einschränken im Namen der Meinungsfreiheit. Zusätzlich angeheizt wurde die Stimmung dadurch, dass zunächst Bücher des Antaios-Verlages und in der darauffolgenden Nacht die Stände von Manuscriptum und der Zeitschrift Tumult von Unbekannten verwüstet wurden. Am vergangenen Samstag eskalierte die Situation dann anlässlich einer Podiumsdiskussion. Dass zudem Falschmeldungen von angeblich schlagenden Neonazis und vermeintlichen „Sieg Heil“-Rufen im Umlauf waren, trug auch nicht zur Befriedung bei. Unglücklicher hätte es kaum laufen können.

Umso wichtiger, dass am vergangenen Montag unter dem Namen „Charta 2017“ eine offene Petition veröffentlicht wurde, die auf den entscheidenden Punkt aufmerksam macht: „Die Vorkommnisse auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse“, heißt es dort, „machen deutlich, wie widersprüchlich es in unserem Land zugeht: wie unter dem Begriff der Toleranz Intoleranz gelebt, wie zum scheinbaren Schutz der Demokratie die Meinungsfreiheit ausgehöhlt wird.“ Und weiter: Wenn ein Branchen-Dachverband wie der Börsenverein darüber befinde, was als Meinung innerhalb des Gesinnungskorridors akzeptiert werde und was nicht, wenn zu „aktiver Auseinandersetzung“ mit missliebigen Verlagen aufgerufen werde, dann sei unsere Gesellschaft nicht mehr weit von einer Gesinnungsdiktatur entfernt, so die Initiatoren. Unterschrieben haben unter anderem die Schriftsteller Uwe Tellkamp, Jörg Berning und Cora Stephan.

Die linke Front ist engstirniger geworden, bornierter und selbstgerechter. Alles, was aus eigener Perspektive als „rechtes Gedankengut“ gilt, soll mundtot gemacht werden, natürlich immer im Namen der Meinungsfreiheit. Der „Fall Sieferle“ (Der „Spiegel“ nahm das Buch „Finis Germania“ von seiner eigenen Bestsellerliste) war das vorerst letzte traurige Beispiel.

Doch wo linkes Denken legitim ist, da darf (und muss) es auch rechtes geben und alles, was dazwischen liegt. Wo die Edition AV auftritt oder die Junge Welt, da darf es auch Antaios geben und die Junge Freiheit. Alles andere wäre das Gegenteil von „offen“ oder „pluralistisch“. Ein paar intellektuelle Lockerungsübungen würden manchem vermeintlichen "Kulturpapst" in diesem Land gut tun.

Demokratie ist bequem, solange alle einer Meinung sind. Doch Meinungsfreiheit, die sich in dem ritualisierten Austausch etablierter Ansichten erschöpft, ist keine Meinungsfreiheit, sondern deren Simulation.

Eine selbstbewusste Demokratie hingegen lebt von der echten Auseinandersetzung. Und Meinungsfreiheit, die ihren Namen verdient, lässt auch Überzeugungen und Weltbilder zu, die den engen Korridor des Herkömmlichen und Korrekten verlassen.

Das wusste schon Voltaire, den man an dieser Stelle zitieren darf „Ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, werde aber alles dafür tun, dass Sie Ihre Meinung frei äußern können."

Übrigens: Der Abend in der Reithalle war nahezu unpolitisch, interessant und letztlich auch vergnüglich. Man kann einen weiteren Besuch in einem halben Jahr nach der Buchmesse in Leipzig nur empfehlen.